Die Tore der Welt
Krisensitzung mit Philemon, Sime, Caris, Oonagh, Merthin und Madge Webber ein.
Caris wusste, dass
es Zeitverschwendung wäre, doch sie nahm trotzdem teil: Es war leichter, als
sich zu weigern, denn dann hätte sie im Nonnenkloster sitzen und sich mit
endlosen Botschaften herumschlagen müssen, in denen sie angefleht, befehligt
und bedroht wurde.
Sie blickte auf die
Schneeflocken, die an den bereiften Fensterscheiben vorbeitrieben, während der
Bischof langatmig einen Streit zusammenfasste, an dem sie wirklich kein
Interesse hatte. »Diese Krise ist durch die illoyale und ungehorsame Haltung
von Mutter Caris herauf beschworen worden«, sagte Henri abschließend.
Damit entlockte er
ihr eine Erwiderung. »Zehn Jahre lang habe ich im hiesigen Hospital
gearbeitet«, sagte sie. »Durch meine Arbeit und die Arbeit meiner Vorgängerin
Mutter Cecilia war es bei den Städtern so beliebt.« Unhöflich wies sie mit dem
Finger auf den Bischof. »Das habt Ihr geändert. Wälzt die Schuld nicht auf
andere ab. In diesem Sessel habt Ihr gesessen und verkündet, dass Bruder Sime
fortan das Hospital leiten soll. Nun solltet Ihr auch die Verantwortung für die
Folgen Eurer törichten Entscheidung auf Euch nehmen.«
»Ihr habt mir zu
gehorchen!«, rief er, und seine Stimme überschlug sich fast vor Erbitterung.
»Ihr seid eine Nonne — Ihr habt ein Gelübde geleistet.« Die schrillen Laute
störten die Katze, Erzbischof, und sie erhob sich und verließ den Saal.
»Das ist mir klar«,
sagte Caris. »Es bringt mich in eine unhaltbare Lage.« Sie sprach, ohne sich
die Worte vorher zurechtgelegt zu haben, doch als sie hervorkamen, begriff sie,
dass sie keineswegs unüberlegt zu nennen waren. Vielmehr handelte es sich bei
ihnen um die Frucht monatelangen Brütens. »Ich kann Gott auf diese Weise nicht
mehr dienen«, fuhr sie fort. Ihre Stimme klang ruhig, doch das Herz pochte ihr
bis zum Hals. »Deshalb habe ich entschieden, meinem Gelübde zu entsagen und das
Kloster zu verlassen.«
Henri erhob sich
tatsächlich von seinem Sitz. »Auf keinen Fall!«, brüllte er. »Aus Eurem
heiligen Gelübde entlasse ich Euch nicht!«
»Ich nehme an, Gott wird es dennoch tun«,
erwiderte sie mit kaum verhohlener Verachtung.
Damit machte sie
ihn noch wütender. »Dieser Gedanke, dass ein Mensch allein mit Gott rechten
kann, ist Häresie. Seit der Pest hat es schon zu viel solch lockere Rede
gegeben.«
»Könnte es daran
liegen, dass die Leute, wenn sie sich während der Pest an die Kirche wandten,
oft feststellen mussten, dass ihre Priester und Mönche« — sie blickte Philemon
an — »geflohen waren wie erbärmliche Feiglinge?«
Henri hob die Hand,
um Philemons entrüstete Entgegnung zu unterbinden. »Wir mögen fehlbar sein,
doch zugleich können sich Männer und Frauen nur über die Vermittlung der Kirche
und ihrer Priester an Gott wenden.«
»Das müsst Ihr
natürlich sagen«, erwiderte Caris. »Dadurch wird es trotzdem nicht wahr.«
»Ihr seid eine
Ketzerin!«
Kanonikus Claude
ergriff das Wort. »Alles in allem, Eminenz, wäre ein öffentlicher Bruch
zwischen Euch und Mutter Caris nicht hilfreich.« Er lächelte sie freundlich an.
Seit dem Tag, an dem sie ihn und den Bischof beim Liebesspiel ertappt und
nichts davon verraten hatte, war er ihr gewogen. »Ihre jetzige Weigerung zur
Zusammenarbeit muss gegen viele Jahre aufopfernder, manchmal heldenhafter
Dienste aufgewogen werden. Und die Menschen lieben sie.«
Henri erwiderte:
»Aber was, wenn wir sie von ihrem Gelübde entbinden? Wie würde sich dadurch das
Problem lösen?«
An dieser Stelle
meldete sich Merthin zum ersten Mal zu Wort. »Ich hätte einen Vorschlag zu
machen«, sagte er.
Aller Augen wandten
sich ihm zu.
Er sagte: »Die
Stadt soll ein neues Hospital bauen. Ich werde einen großen Bauplatz auf Leper
Island stiften. Es soll von einem Konvent aus Nonnen geleitet werden, der von
der Priorei ganz getrennt ist, einer neuen Gemeinschaft. Der Konvent würde natürlich
der geistlichen Autorität des Bischofs von Shiring unterliegen, aber er hätte
keine Verbindung zum Prior von Kingsbridge oder einem Arzt des Mönchsklosters.
Das neue Hospital müsste einen Laien als Patron haben, der ein führender Bürger
der Stadt sein sollte, vom Rat ausgewählt. Er würde die Priorin einsetzen.«
Einen Augenblick
lang waren sie alle still und ließen seinen umwälzenden Vorschlag auf sich
wirken. Caris war wie vom Donner
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