Die Tore der Welt
jemanden hören.« Sie sah traurig drein.
»All die Jahre
waren wir beide zusammen, und ich habe nur ein einziges Mal empfangen.« Er sah
weg. »In welchem Gemach ist sie?« »Verzeih, dass ich von mir sprach. Ich sollte
dich zuallerletzt kümmern. Lady Philippa ist im mittleren Gemach.« Er bemerkte
die kaum unterdrückte Trauer in ihrer Stimme und hielt trotz seiner Sorge um
Philippa inne. Er berührte Caris am Arm. »Bitte glaube nicht, dass du mir
gleichgültig wärst«, sagte er. »Mir wird immer wichtig sein, was aus dir wird
und ob du glücklich bist.« Sie nickte, und Tränen traten ihr in die Augen. »Das
weiß ich«, sagte sie. »Ich bin selbstsüchtig. Geh zu Philippa.« Er ließ Caris
stehen und betrat das mittlere Zimmer. Philippa kniete mit dem Rücken zu ihm
auf dem Betpult. Er unterbrach sie. »Bist du wohlauf?« Sie stand auf und wandte
sich ihm zu. Ihr Gesicht sah furchtbar aus. Ihre Lippen waren auf die dreifache
Größe angeschwollen und übel verschorft.
Er vermutete, dass
Caris die Wunde gewaschen hatte — daher der blutige Lappen. »Was ist
geschehen?«, fragte er. »Kannst du sprechen?«
Sie nickte. »Es
klingt merkwürdig, aber reden kann ich.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein
Murmeln, aber verständlich. »Wie schlimm bist du verletzt?«
»Mein Gesicht sieht
schrecklich aus, aber es ist nichts Ernstes. Davon abgesehen geht es mir gut.«
Er nahm sie in die
Arme. Sie legte den Kopf an seine Schulter. Er wartete und hielt sie fest. Nach
einer Weile begann sie zu weinen. Er strich ihr über das Haar und den Rücken,
während sie unter den Schluchzern bebte. »Alles wird gut«, sagte er und küsste
sie auf die Stirn, aber er versuchte nicht, sie zum Schweigen zu bringen.
Allmählich
versiegten ihre Tränen.
Merthin fragte:
»Kann ich deine Lippen küssen?« Sie nickte. »Aber sanft.«
Er strich mit
seinem Mund darüber. Ihre Lippen schmeckten nach Mandeln: Caris hatte die
aufgeplatzten Stellen mit Öl behandelt.
»Sag mir, was
geschehen ist«, bat er.
»Es ging wie
geplant. Er hat sich täuschen lassen. Er wird sicher sein, dass es sein Kind
ist.«
Er berührte sie mit
der Fingerspitze am Mund. »Und das hat er getan?« »Sei nicht ärgerlich. Ich
habe versucht, ihn zu reizen, und das ist mir gelungen. Sei froh, dass er mich
geschlagen hat.« »Froh! Wieso?« »Weil er nun glaubt, dass er mich zwingen
musste. Er glaubt, ohne Gewalt hätte ich mich ihm nie ergeben. Er ahnt nicht im
Geringsten, dass es meine Absicht war, ihn zu verführen. Er wird die Wahrheit
niemals vermuten. Das heißt, ich bin sicher — und unser Kind auch.« Er legte
ihr die Hand auf den Leib. »Aber warum bist du nicht zu mir gekommen?« »Mit
diesem Gesicht?«
»Ich möchte auch dann bei dir sein, wenn du
leidest.« Er legte seine Hand auf ihre Brust. »Außerdem habe ich dich
vermisst.«
Sie streifte seine
Hand ab. »Ich kann nicht wie eine Hure vom einen zum anderen gehen.«
»Oh.« So hatte er
es noch gar nicht betrachtet. »Verstehst du mich?« »Ich glaube schon.« Er sah ein,
dass eine Frau sich billig vorkam … obwohl ein Mann vielleicht stolz wäre,
wenn er genau das Gleiche tat. »Aber wie lange …?« Sie seufzte und rückte von
ihm ab.
»Wie lange ist
nicht die Frage.« »Wie meinst du das?«
»Wir haben uns
geeinigt, der Welt zu sagen, dass das Kind von Ralph ist, und ich habe dafür
gesorgt, dass er es glaubt. Nun wird er es aufziehen wollen.«
Merthin war
entsetzt. »So weit habe ich nicht gedacht. Aber ich hatte angenommen, du
würdest weiterhin in der Priorei wohnen.«
»Ralph würde kaum
erlauben, dass sein Kind in einem Nonnenkloster aufwächst — und wenn es ein
Junge wird, schon gar nicht.«
»Was also willst du
tun — nach Earlscastle zurückkehren?« »Ja.«
Das Kind war
natürlich noch nichts; keine Persönlichkeit, nicht einmal ein Säugling, nur
eine Schwellung in Philippas Bauch. Dennoch erfasste Merthin ein tiefer Kummer.
Lolla war zu der großen Freude in seinem Leben geworden, und er hatte der
Geburt eines zweiten Kindes geradezu entgegengefiebert.
Doch wenigstens
hätte er Philippa noch eine Weile für sich. »Wann willst du aufbrechen?«,
fragte er.
»So bald wie
möglich«, sagte sie. Als sie sein Gesicht sah, kamen ihr die Tränen. »Ich kann
gar nicht sagen, wie leid es mir tut — aber es käme mir so falsch vor, wenn ich
mich von dir lieben lasse und gleichzeitig plane, zu Ralph zurückzukehren. Mit
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