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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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der Kathedrale hören: Tausend Menschen kauften und verkauften
dort, feilschten und stritten sich, priesen lautstark ihre Waren an und grölten
beim Hahnenkampf oder der Bärenhatz.
    Godwyn war von
Timothys Buch fasziniert. Es war eine Geschichte der Priorei von Kingsbridge,
und wie die meisten Chroniken begann sie damit, wie Gott den Himmel und die
Erde erschaffen hatte. Zum größten Teil berichtete die Chronik jedoch über die
Zeit Prior Philips, zweihundert Jahre zuvor, als die Kathedrale erbaut worden
war — eine Zeit, die in den Augen der Mönche nun als goldenes Zeitalter
erschien. Der Verfasser des Buches, Bruder Timothy, behauptete, dass der
legendäre Philip ein Mann von strenger Disziplin, aber auch von großem
Mitgefühl gewesen sei. Godwyn war nicht sicher, wie man beides zugleich sein
konnte.
    Im hinteren Teil
der Chronik hatten spätere Autoren die Nachfahren der Kathedralenbauer bis zum
heutigen Tag aufgelistet. Darin fand Godwyn — zu seiner eigenen Überraschung —
die Geschichte seiner Mutter bestätigt, dass sie nämlich über Toms Tochter
Martha von Tom Builder abstammte. Er fragte sich, welche Familieneigenschaften
wohl auf Tom zurückgingen. Ein Steinmetz musste ein guter Geschäftsmann sein,
sagte er sich, und genau das waren Godwyns Großvater und sein Onkel Edmund.
Seine Base Caris zeigte ebenfalls entsprechende Anlagen. Und vielleicht hatte
der alte Tom Builder ja auch grüne Augen mit goldenen Flecken gehabt wie sie
alle.
    Godwyn las auch
über Tom Builders Stiefsohn, Jack, den Baumeister der Kathedrale von
Kingsbridge, der Lady Aliena geheiratet und damit eine Linie der Grafen von
Shiring begründet hatte. Jack war auch der Ahnherr von Caris‘ Liebstem, Merthin
Fitzgerald. Kein Wunder also, dass der junge Merthin bereits jetzt außergewöhnliche
Fähigkeiten als Zimmermann zeigte. In Timothys Buch wurde sogar Jacks rotes
Haar erwähnt, das Sir Gerald und Merthin geerbt hatten, Ralph aber nicht.
    Was Godwyn jedoch
am meisten interessierte, war das Kapitel, das sich mit Frauen beschäftigte.
Zur Zeit Prior Philips hatte es offenbar keine Nonnen in Kingsbridge gegeben.
Frauen war es streng untersagt gewesen, die Klostergebäude zu betreten. Der
Autor zitierte Philip mit den Worten, ein Mönch solle, um seines eigenen
Seelenfriedens willen, nach Möglichkeit eine Frau niemals auch nur anschauen.
Philip hatte gemeinsame Mönchs- und Nonnenklöster abgelehnt, da die Vorteile
gemeinsam genutzter Räumlichkeiten nicht nur den Brüdern und Schwestern zu gute
kamen, sondern vor allem dem Teufel, der hier reichlich Gelegenheit erhielt,
Männer und Frauen in Versuchung zu führen. Wo es dennoch solche Zusammenlegungen
gab, fügte Philip hinzu, müssten Mönche und Nonnen so streng wie möglich
voneinander getrennt werden.
    Godwyn war erfreut,
seine eigene Überzeugung von solch einer Autorität bestätigt zu sehen. In
Oxford hatte er die rein männliche Umgebung des Kingsbridge College genossen.
Zudem waren sowohl die Magister als auch die Studenten an der Universität
ausnahmslos männlichen Geschlechts. Sieben Jahre lang hatte er kaum ein Wort
mit einer Frau gesprochen, und wenn er bei einem Gang durch die Stadt den Blick
auf den Boden geheftet hatte, dann hatte er sogar vermeiden können, Frauen auch
nur zu sehen. Bei seiner Rückkehr in die Priorei hatte er es dann auch als
ausgesprochen beunruhigend empfunden, so häufig Nonnen zu erblicken. Obwohl sie
ihre eigenen Zellen, ihr eigenes Refektorium, ihre eigene Küche und dergleichen
hatten, traf er sie ständig in der Kirche, im Hospital und in anderen
öffentlichen Gebäuden. Tatsächlich saß just in diesem Augenblick eine hübsche junge
Nonne mit Namen Mair nur ein paar Fuß von ihm entfernt und las in einem
illuminierten Folianten über Heilkräuter. Schlimmer war nur noch, auf Mädchen
aus der Stadt zu treffen mit ihren eng anliegenden Kleidern und verführerischen
Frisuren, wie sie über das Klostergelände schlenderten, um Vorräte in die Küche
zu bringen oder Kranke im Hospital zu besuchen.
    Die Zustände in der
Priorei entsprachen längst nicht mehr den frommen und sittsamen Regeln Philips,
dachte Godwyn — ein weiteres Beispiel für die Nachlässigkeit, die sich unter
seinem Onkel Anthony eingeschlichen hatte. Aber vielleicht konnte erja etwas
dagegen tun.
    Die Glocke läutete
zur Sext, und Godwyn klappte das Buch zu.
    Schwester Mair tat
es ihm gleich und lächelte ihn an,

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