Die Tore der Welt
wobei ihre Lippen einen süßen Bogen bildeten.
Godwyn wandte sich rasch ab und eilte aus dem Raum.
Das Wetter besserte
sich. Zwischen den Schauern kam dann und wann bereits die Sonne heraus. In der
Kirche hellten sich die Buntglasfenster auf und verblassten wieder, wenn Wolken
am Himmel entlang zogen. Godwyns Geist war ebenso ruhelos. Immer wieder lenkte
ihn der Gedanke vom Gebet ab, wie er Timothys Buch am besten nutzen könnte, um
die Priorei zu altem Glanz zu führen. Er beschloss, das Thema im Kapitel
anzusprechen, der täglichen Zusammenkunft der Mönche.
Nach dem Einsturz
am vergangenen Sonntag kamen die Steinmetze rasch mit der Reparatur des Chors
voran, wie Godwyn bemerkte. Die Trümmer waren weg geschafft worden, das Areal
mit Seilen abgesperrt. Im Querschiff wuchs ein Stapel dünner, leichter Steine
empor. Die Männer unterbrachen nicht einmal die Arbeit, wenn die Mönche zum
Gesang anhoben — hätten sie es getan, hätte das Werk sich arg verzögert, denn
im Laufe des Tages fanden schlichtweg zu viele Gottesdienste statt. Merthin
Fitzgerald, der seine Arbeit an der neuen Tür kurzzeitig unterbrochen hatte,
befand sich im Südschiff, wo er eine komplizierte Konstruktion aus Seilen,
Brettern und Balken errichtete, auf der die Steinmetze bei der Reparatur des
Gewölbes stehen konnten. Thomas Langley, dessen Aufgabe es war, die Handwerker
zu beaufsichtigen, stand mit Elfric im südlichen Seitenschiff des Chorbereichs,
deutete zu der Einsturzstelle hoch und diskutierte offenbar Merthins Arbeit.
Thomas war als
Matricularius ausgesprochen tüchtig: Er war umsichtig und kümmerte sich um
alles. Jedes Mal, wenn die Handwerker nicht auftauchten — ein häufiges Ärgernis —, ging Thomas zu ihnen in die Stadt und verlangte den Grund für ihr Wegbleiben
zu erfahren. Wenn Thomas überhaupt einen Fehler hatte, dann den, dass er zu
unabhängig war: Nur selten erstattete er Bericht über Fortschritte oder fragte
Godwyn nach dessen Meinung; stattdessen setzte er seine Arbeit fort, als wäre
er sein eigener Herr und nicht Godwyns Untergebener. Godwyn hegte den
ärgerlichen Verdacht, dass Thomas an seinen Fähigkeiten zweifelte. Godwyn war
jünger als Thomas, aber nur wenig: Er war einunddreißig, Thomas vierunddreißig.
Vielleicht glaubte Thomas, dass Godwyn nur unter dem Druck Petronillas von
Anthony befördert worden war. Allerdings zeigte Thomas keinerlei Zeichen von
Unmut. Er machte schlicht alles auf seine Art.
Während Godwyn
zuschaute und mechanisch die Gebete murmelte, wurde Thomas‘ Gespräch mit Elfric
unterbrochen. Herr William von Caster kam in die Kirche. Er war eine große,
schwarzbärtige Gestalt, seinem Vater nicht unähnlich und ebenso hart im Umgang,
auch wenn die Leute sagten, dass seine Frau Philippa einen mildernden Einfluss
auf ihn ausübte. Er näherte sich Thomas und winkte Elfric zu gehen. Thomas
drehte sich zu William um, und irgend etwas an seiner Haltung erinnerte Godwyn
daran, dass Thomas einst ein Ritter gewesen und mit blutender Schwertwunde in
die Priorei gekommen war, in deren Folge man ihm den linken Arm am Ellbogen
hatte amputieren müssen.
Godwyn wünschte
sich, er könnte hören, was Herr William zu sagen hatte. William beugte sich
vor, sprach auf aggressive Art und deutete mit dem Finger. Thomas antwortete
ihm furchtlos und mit der gleichen Heftigkeit. Godwyn erinnerte sich plötzlich
daran, dass Thomas, wenn auch verletzt und schwach, genau solch ein erregtes
Gespräch vor zehn Jahren geführt hatte, am Tag seiner Ankunft hier.
Damals hatte er
sich mit Williams jüngerem Bruder gestritten, Richard, der jetzt Bischof von
Kingsbridge war. Godwyn fragte sich, ob es heute um das gleiche Thema ging wie
damals. Konnte es zwischen einem Mönch und einer Adelsfamilie einen Streitpunkt
geben, der nach zehn Jahren immer noch für böses Blut sorgte?
Sichtlich
unzufrieden stapfte Herr William davon, und Thomas wandte sich wieder Elfric
zu.
Der Streit vor zehn
Jahren hatte damit geendet, dass Thomas ins Kloster eingetreten war. Godwyn
erinnerte sich, dass Richard eine Spende versprochen hatte, um Thomas‘ Aufnahme
zu sichern.
Godwyn hatte nie
wieder etwas von dieser Spende gehört. Ob sie je geleistet worden war?
In all der Zeit
schien niemand in der Priorei viel über Thomas‘ Vorleben in Erfahrung gebracht
zu haben, und das war seltsam.
Mönche ergingen
sich ständig in Gerüchten. Wenn man so eng in einer kleinen Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher