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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schmeckte Blut.
    »Dieser Kerl hat
mich auf die Nase geschlagen«, sagte er und klang dabei, als hätte er eine
schwere Erkältung.
    »Dann wird er
bestraft«, sagte John.
    Zwei Männer
erschienen, die Wulfric ähnlich sahen — sein Vater und sein älterer Bruder,
vermutete Ralph. Sie halfen Wulfric auf die Beine und warfen Ralph wütende
Blicke zu.
    Perkin meldete sich
wieder zu Wort. Er war ein fetter Mann mit listigem Gesicht. »Der Junker hat
zuerst zugeschlagen«, erklärte er.
    Ralph sagte: »Der
Bauer hat mich absichtlich geschubst!« »Der Junker hat Wulfrics zukünftiges
Weib beleidigt.« Der Büttel meinte: »Egal was der Junker gesagt hat, Wulfric
hätte es besser wissen müssen, als Hand an einen Diener des Grafen zu legen.
Ich gehe davon aus, dass der Graf ihn streng bestraft sehen will.« Nun meldete
Wulfrics Vater sich zu Wort. »Sag mal, John Constable, gibt es vielleicht ein
neues Gesetz, dass ein Mann in Livree tun und lassen kann, was er will?«
Zustimmendes Raunen ging durch die kleine Menschenmenge, die sich inzwischen
versammelt hatte. Junge, übermütige Junker machten oft und gern Ärger, und
häufig entgingen sie ihrer Strafe, nur weil sie die Farben irgendeines
Edelmanns trugen — ein Umstand, den gesetzestreue Händler und Bauern zutiefst
missbilligten.
    Lady Philippa
mischte sich ein. »Ich bin die Schwiegertochter des Grafen, und ich habe alles
gesehen«, sagte sie. Ihre Stimme war tief und melodiös, doch sie sprach mit der
Autorität ihres hohen Standes. Ralph erwartete, dass sie sich auf seine Seite
stellen würde, doch zu seiner großen Bestürzung fuhr sie fort: »Ich bedauere, sagen
zu müssen, dass Junker Ralph die alleinige Schuld trägt. Er hat das Mädchen auf
empörendste Art berührt.«
    »Ich danke Euch,
Mylady«, sagte John Constable ehrerbietig und senkte die Stimme, um sich mit
ihr zu beraten. »Aber ich glaube, der Graf wird den Bauernjungen nicht
ungestraft davonkommen lassen wollen … «
    Lady Philippa
nickte nachdenklich. »Wir wollen beide nicht, dass sich aus dieser Sache ein
längerer Streit entwickelt. Stellt den Jungen vierundzwanzig Stunden an den
Pranger. Ich möchte nicht, dass ihm in seinem Alter allzu großes Leid
widerfährt, und so wird jeder wissen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan
wurde. Das wird den Grafen zufriedenstellen — ich sage das in seinem Namen.«
    John zögerte. Ralph
sah, dass es dem Büttel nicht gefiel, von jemand anderem als seinem Herrn, dem
Prior von Kingsbridge, Befehle entgegenzunehmen. Ralph hätte Wulfric zwar gerne
ausgepeitscht gesehen, doch allmählich ging ihm auf, dass er nicht als Held aus
dieser Sache herauskommen würde, und sollte er eine härtere Bestrafung fordern,
würde er sogar noch schlechter dastehen.
    Nach kurzem
Überlegen sagte John Constable: »Nun gut, Lady Philippa, wenn Ihr bereit seid,
die Verantwortung zu übernehmen.«
    »Das bin ich.«
    »Gut.« John nahm
Wulfric am Arm und führte ihn weg. Der Junge hatte sich rasch erholt und war
schon wieder in der Lage, gerade aus zu gehen. Seine Familie folgte ihm.
Vielleicht würden sie ihm Essen und Trinken bringen, wenn er am Pranger stand,
und dafür sorgen, dass man ihn nicht bewarf
    Merthin fragte
Ralph: »Wie geht es dir?« Ralph hatte das Gefühl, als würde sein Gesicht
anschwellen wie eine Schweinsblase, in die Luft gepumpt wird. Er sah alles
verschwommen, sprach durch die Nase und hatte Schmerzen. »Es geht mir gut«,
nuschelte er. »Ich hab mich nie besser gefühlt.« »Lass uns zu einem Mönch
gehen, damit er sich einmal deine Nase ansieht.« »Nein.« Ralph hatte keine
Angst vor einem Kampf, doch was Ärzte so alles taten, ließ ihn schaudern: Aderlass,
Schröpfen, Geschwüre aufstechen … »Ich brauche bloß eine Flasche starken
Wein. Bring mich zur nächsten Schänke.« »Na schön«, sagte Merthin, rührte sich
aber nicht. Stattdessen schaute er seinen Bruder seltsam an.
    »Was ist?«, fragte
Ralph.
    »Du wirst dich nie
ändern, was?«
    Ralph zuckte die
Schultern. »Sollte ich?«
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KAPITEL 9
    Am Mittwoch der
Wollmarktwoche, vor dem Gebet zur Sext, saß Godwyn vor Timothys Buch an einem
Lesepult der Klosterbibliothek.
    Die Bibliothek war
sein Lieblingsplatz im Kloster: ein großer Raum, gut beleuchtet durch hohe
Fenster und mit fast hundert Büchern in einem abgeschlossenen Schrank.
Normalerweise war es hier still, doch heute konnte Godwyn den gedämpften Lärm
vom Markt hinter

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