Die Tore der Welt
aus mit der Gewalt. Immer wieder
waren sie in den Krieg gezogen, über zwanzig Jahre hinweg, zuletzt im Feldzug
des vorletzten Winters. Beide besaßen rasche Reflexe, und ihre Reaktionen waren
tödlich. Viele französische Ritter hatten versucht, sie zu töten, und bei dem
Versuch das Leben gelassen.
Sie hätte vielleicht
einen von ihnen töten können, indem sie List und Überraschung anwandte, aber
nicht beide.
Sie würde sich
Ralph ergeben müssen.
Grimmig ging sie
hinaus und wusch sich Gesicht und Hände. Als sie wieder in den Rittersaal trat,
trug das Küchengesinde ein Frühstück aus Roggenbrot und Dünnbier auf. Sam
tunkte das altbackene Brot in das Bier, um es aufzuweichen. »Du ziehst schon
wieder diese Miene«, sagte er. »Was ist denn los?«
»Nichts«, sagte
sie. Sie zog ihr Messer und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. »Ich habe einen
weiten Marsch vor mir.«
»Deswegen machst du
dir Gedanken? Aber es stimmt, du solltest wirklich nicht allein gehen. Die
meisten Frauen reisen nicht gern ohne Begleitung.«
»Ich bin zäher als
die meisten Frauen.« Sie freute sich, weil er sich um sie besorgt zeigte. Dazu
hätte sich sein wirklicher Vater, Ralph, niemals hinreißen lassen. Wulfric
hatte also doch einigen guten Einfluss auf den Jungen ausgeübt. Dennoch war es
ihr peinlich, dass er ihre Miene gedeutet und ihren Gemütszustand erraten hatte.
»Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen.«
»Ich könnte mit dir
kommen«, bot er an. »Der Graf gibt mir dazu bestimmt frei. Er braucht heute
keine Knappen — er will mit Alan Fernhill irgendwohin reiten.«
Nichts käme ihr
weniger gelegen. Wenn sie ihr Stelldichein nicht einhielt, deckte Ralph das
Geheimnis auf. Sie konnte sich gut vorstellen, welches Vergnügen er dabei
empfinden würde. Viel brauchte es nicht, um ihn dazu zu reizen. »Nein«, lehnte
sie fest ab. »Du bleibst hier. Du weißt nie, wann dein Graf dich rufen lässt.«
»Er ruft schon
nicht nach mir. Ich möchte dich begleiten.«
»Und was sollen die
anderen Knappen von dir halten, wenn du deiner alten Mutter nachläufst?« Gwenda
schluckte einen Mundvoll Brot und stopfte sich den Rest in den Beutel. »Du bist
ein guter Junge, dass du dich um mich sorgst, aber es ist nicht nötig.« Sie küsste
ihn auf die Wange. »Pass auf dich auf. Geh keine unnötigen Risiken ein. Wenn du
etwas für mich tun willst, dann bleib am Leben.«
Sie ging davon. An
der Tür wandte sie sich um. Er sah ihr nachdenklich hinterher. Gwenda zwang
sich zu einem Lächeln, von dem sie hoffte, es wirke unbeschwert. Dann ging sie
hinaus.
Unterwegs sorgte
Gwenda sich immer mehr, jemand könnte von ihrem Verhältnis zu Ralph erfahren.
Solche Dinge hatten eine Neigung, ans Licht zu kommen. Sie hatte sich einmal
mit ihm getroffen, nun tat sie es zum zweiten Mal, und sie fürchtete, dass es
noch öfter geschehen würde. Wie lange würde es dauern, bis jemand sah, wie sie
die Straße verließ und in den Wald ging, und sich darüber wunderte? Was, wenn
jemand durch ein ungünstiges Geschick im falschen Moment in die Hütte kam? Wie
vielen fiel auf, dass Ralph jedes Mal allein mit Alan ausritt, wenn Gwenda von
Earlscastle nach Wigleigh zurückkehrte?
Kurz vor Mittag
machte sie an einer Schänke Rast und nahm etwas Bier und Käse zu sich. Reisende
verließen solche Stätten im Allgemeinen in der Gruppe, weil es am sichersten
war, doch sie blieb absichtlich zurück, damit sie allein auf der Straße wäre.
Als sie die Stelle erreichte, wo sie in den Wald abbiegen musste, blickte sie
in alle Richtungen und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war. Sie
glaubte, eine Viertelmeile hinter sich eine Bewegung zwischen den Bäumen
auszumachen, doch als sie angestrengt in die neblige Ferne spähte, war nichts
zu erkennen. Sie wurde schreckhaft, das war alles.
Während Gwenda
durch das sommerliche Unterholz stapfte, malte sie sich wieder aus, Ralph zu
töten. Wenn Alan durch glückliche Umstände nicht bei ihm war, fand sie dann
vielleicht eine Gelegenheit? Alan war jedoch der einzige Mensch auf der Welt,
der wusste, dass Ralph sich mit ihr traf. Wenn Ralph getötet wurde, wüsste
Alan, dass Gwenda es getan hatte. Sie müsste also auch ihn töten. Und das
erschien ihr unmöglich.
Vor der Hütte
standen zwei Pferde. Ralph und Alan waren schon da. Sie saßen an dem kleinen
Tisch, vor sich die Überreste ihres Mittagessens: einen halben Laib Brot, einen
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