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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sorgsam gezielten
Stoß am Kopf. Blut quoll der Katze aus dem Mund und den Nasenlöchern, und sie
sackte bewusstlos zusammen, atmete aber noch. Er traf sie ein letztes Mal und
tötete sie. Die anderen jubelten und klatschten in die Hände.
    Gwenda war
angewidert. Sie mochte Katzen nicht besonders — sie zog Hunde vor —, aber es
war nicht schön anzusehen, wie ein hilfloses Tier zu Tode gequält wurde. Sie
nahm an, die jungen Männer wurden zu so etwas angehalten, um sie darauf
vorzubereiten, Menschen im Krieg zu verstümmeln und zu erschlagen. Aber musste
es denn so sein?
    Sie ging weiter,
ohne ihren Sohn angesprochen zu haben. Schwitzend überquerte sie die zweite
Brücke und stieg die Stufen zum Wohnturm hoch. Im Rittersaal war es gnädig
kühl.
    Sie war froh, dass
Sam sie nicht gesehen hatte. Gwenda hoffte, ihm heute so lange wie möglich aus
dem Weg gehen zu können. Sie wollte nicht, dass er vermutete, etwas sei nicht
in Ordnung. Zwar war er nicht sonderlich feinfühlig, aber vielleicht merkte er
seiner Mutter ihr Elend doch an.
    Sie erklärte dem
Hausmeier, weshalb sie gekommen war, und er versprach, es den Grafen wissen zu
lassen. »Ist Lady Philippa auf der Burg?«, fragte Gwenda hoffnungsvoll.
Vielleicht hielt sich Ralph in Gegenwart seiner Gemahlin etwas zurück.
    Doch der Meier
schüttelte den Kopf. »Sie weilt bei ihrer Tochter in Monmouth.«
    Gwenda nickte
grimmig und nahm zum Warten Platz. Sie musste wieder an ihre Begegnung mit
Ralph in der Jagdhütte denken. Wenn sie auf die schmucklosen grauen Wände des
Rittersaals blickte, sah sie ihn, wie er sie angestarrt hatte, den Mund
erwartungsvoll leicht geöffnet, während sie sich auskleidete. So sehr die
Vereinigung mit dem Mann, den sie liebte, eine Wonne war, so widerlich war sie
ihr mit einem, den sie hasste.
    Beim ersten Mal,
vor über zwanzig Jahren, hatte Ralph sie zwar auch gezwungen, doch ihr Körper
hatte sie verraten: Sie hatte körperliche Lust empfunden, während sie seelisch
nur Abscheu empfand. Das Gleiche war ihr mit Alwyn, dem Gesetzlosen, im Wald
widerfahren. In der Jagdhütte war es nicht dazu gekommen. Gwenda schrieb die
Veränderung dem Alter zu. Als sie noch ein junges Mädchen war, voller
Verlangen, hatte der körperliche Akt eine unwillkürliche Reaktion ausgelöst — etwas, wogegen sie nichts tun konnte, so sehr sie sich auch dafür schämte. In
reiferen Jahren war ihr Leib nicht mehr so verletzlich, der Reflex nicht
ohnehin kurz vor dem Ausbruch. Wenigstens dafür konnte sie dankbar sein.
    Die Treppe am
anderen Ende des Saales führte zum Gemach des Grafen. Ständig gingen Männer
hoch und kamen wieder herunter: Ritter, Gesinde, Pächter, Vögte. Nach einer
Stunde sagte ihr der Meier, sie solle nach oben gehen.
    Gwenda hatte Angst,
dass Ralph sofort und an dieser Stelle mit ihr liegen wollte, und war
erleichtert, als sie feststellte, dass er einen Audienztag abhielt. Sir Alan
und zwei Priesterschreiber saßen mit ihm an einem Tisch voller Schreibzeug.
Einer der Schreiber reichte ihr eine kleine Pergamentrolle.
    Gwenda warf keinen
Blick hinein. Sie konnte nicht lesen.
    »So«, sagte Ralph. »Jetzt ist dein Sohn ein
Zinspächter. Hast du das nicht von jeher gewollt?«
    Freiheit für sich
hatte sie gewollt, das wusste Ralph genau. Gwenda hatte sie nicht erreicht,
doch Davey — da hatte Ralph recht — war es nun gelungen. Das aber hieß, dass
ihr Leben nicht völlig ohne Sinn gewesen war. Ihre Enkel wären frei und
unabhängig, könnten anbauen, was sie wollten, bezahlten ihre Pacht und
behielten alles, was sie darüber hinaus verdienten, für sich. Die erbärmliche
Existenz voll Armut und Hunger, in die Gwenda geboren worden war, würden sie
nie kennenlernen.
    War das alles wert,
was sie durchgemacht hatte? Gwenda hätte es gern gewusst, aber sie konnte es
nicht sagen.
    Sie nahm die
Pergamentrolle entgegen und ging zur Tür.
    Alan folgte ihr und
sprach sie leise an, als sie den Raum verließ. »Bleib heute Nacht hier, im
Rittersaal«, sagte er. Der große Saal war der Schlafplatz für die meisten
Bewohner der Burg. »Sei morgen zwei Stunden nach Mittag an der Jagdhütte.«
    Sie versuchte zu
gehen, ohne eine Antwort zu geben.
    Alan versperrte ihr
mit dem Arm den Weg.
    »Verstanden?«,
fragte er.
    »Ja«, sagte sie
leise. »Ich bin am Nachmittag da.« Er ließ sie gehen.
     
    Erst spät am Abend
sprach sie mit Sam. Die Knappen verbrachten den ganzen Nachmittag mit

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