Die Tore der Welt
unterschiedlichen brutalen Spielen.
Gwenda war froh,
sich selbst überlassen zu sein. Allein mit ihren Gedanken saß sie in der kühlen
Halle. Sie versuchte sich einzureden, dass geschlechtlicher Umgang mit Ralph
ihr nichts bedeutete. Sie sei schließlich keine Jungfrau mehr, sondern seit
zwanzig Jahren verheiratet. Tausende Male sei sie mit einem Mann gewesen. Nach
ein paar Minuten wäre alles vorüber, und es blieben keine Narben zurück. Sie
würde es tun und wieder vergessen. Bis zum nächsten Mal.
Das war das
Schlimmste daran. Er würde sie immer wieder zwingen können. Seine Drohung, das
Geheimnis zu lüften, dass er Sams Vater war, würde sie so lange verfolgen, wie
Wulfric lebte.
Gewiss würde Ralph
ihrer bald müde werden und zu den festen jungen Leibern seiner Schänkenhuren
zurückkehren.
»Was hast du?«, fragte
Sam sie, als bei Sonnenuntergang die Knappen zum Abendbrot hereinkamen.
»Nichts«, sagte sie
rasch. »Davey hat mir eine Milchkuh gekauft.« Sam schaute ein wenig neidisch
drein. Er genoss das Leben, aber Knappen wurden nicht bezahlt. Sie brauchten
nur wenig Geld — sie erhielten Essen, Trinken, Unterkunft und Kleidung —, aber
dennoch hatte ein junger Mann gern ein paar Pennys im Beutel.
Sie sprachen über
Daveys bevorstehende Hochzeit. »Du und Annet, ihr werdet bald Großmütter sein«,
sagte Sam. »Du solltest deinen Frieden mit ihr machen.«
»Sei nicht dumm«,
fuhr Gwenda ihn an. »Du weißt ja gar nicht, wovon du redest!«
Ralph und Alan
kamen aus dem Gemach, als das Abendbrot aufgetragen wurde. Alle Bewohner der
Burg und alle Besucher versammelten sich im Rittersaal. Die Köche brachten drei
große, in Kräutern gebackene Hechte herein. Gwenda setzte sich an das untere
Ende des Tisches, weit von Ralph entfernt, und er würdigte sie keines Blickes.
Nach dem Abendessen
legte sie sich neben Sam im Stroh auf dem Boden schlafen. Es tröstete sie,
dicht bei ihm zu liegen, ganz wie früher, als er noch klein war. Sie erinnerte
sich, wie sie in der Stille der Nacht auf seinen leisen und zufriedenen
kindlichen Atem gelauscht hatte. Während sie in den Schlaf sank, überlegte sie,
wie Kinder aufwuchsen und den Erwartungen ihrer Eltern trotzten. Ihr eigener
Vater hatte sie wie einen Gegenstand verschachern wollen, doch sie hatte wütend
dagegen aufbegehrt, sich so benutzen zu lassen. Nun schlugen ihre Söhne beide
einen eigenen Lebensweg ein, und beide Male war es nicht der, den sie geplant
hatte. Sam wurde ein Ritter, und Davey heiratete Annets Tochter. Wenn wir
wüssten, was aus ihnen wird, dachte sie, würden wir sie dann immer noch so
freudig in die Welt setzen?
Sie träumte, sie
käme in Ralphs Jagdhütte und stellte fest, dass er nicht dort war, doch auf
seinem Bett saß eine Katze. Sie wusste, dass sie die Katze töten musste, aber
ihr waren die Hände auf den Rücken gebunden, also stieß sie mit dem Kopf nach
ihr, bis das Tier starb.
Als Gwenda
aufwachte, fragte sie sich, ob sie Ralph in der Jagdhütte töten könnte.
Vor vielen Jahren
hatte sie Alwyn umgebracht. Sie hatte ihm das eigene Messer in die Kehle
gestoßen und es durch den Kopf getrieben, bis die Spitze an einem Auge wieder
herauskam. Auch Sim Chapman hatte sie umgebracht, hatte seinen Kopf unter
Wasser gedrückt, während er strampelte und sich wand, bis er das Flusswasser
einatmete und ertrank. Wenn Ralph allein in die Jagdhütte kam, konnte sie ihn
vielleicht töten; sie musste den richtigen Moment abwarten.
Aber er käme nicht
allein. Grafen gingen nirgendwohin allein. Er hätte Alan bei sich, wie immer.
Wenn er mit nur einem Begleiter reiste, war es schon ungewöhnlich. Es war sehr
unwahrscheinlich, dass er gar niemanden dabei hätte.
Konnte sie beide
töten? Niemand wusste, dass sie sich dort mit ihnen treffen sollte. Wenn sie
Ralph und Alan umbrachte und einfach nach Hause ging, würde niemand sie je
verdächtigen. Niemand kannte ihren Grund; er war ein Geheimnis, und das war gut
so. Selbst wenn es jemandem auffiel, dass sie zur fraglichen Zeit in der Nähe
der Jagdhütte gewesen war, würde man sie höchstens fragen, ob sie dort
irgendwelche verdächtig erscheinenden Männer gesehen hätte. Keiner käme auf den
Gedanken, dass eine kleine Frau mittleren Alters den großen starken Ralph
überwinden könnte.
Was sollte sie tun?
Sie dachte darüber nach, doch im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass keine
Hoffnung bestand. Ralph und Alan kannten sich
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