Die Tore der Welt
seiner
Mutter zu sprechen.
Der Gedanke machte
ihn nervös. Vielleicht würde sie ihn wegen seines Versagens beim Disput im
Kapitel tadeln. Doch für seinen Umgang mit Bischof Richard würde sie ihn loben,
da war er sicher, und so war er begierig darauf, ihr die Geschichte zu
erzählen. Godwyn beschloss, seine Mutter aufzusuchen.
Streng genommen war
das nicht erlaubt. Mönche sollten nicht einfach so durch die Straßen der Stadt
gehen. Dafür musste es schon einen Grund geben, und theoretisch mussten sie den
Prior um Erlaubnis bitten, wenn sie das Kloster verlassen wollten. In der
Praxis jedoch hatten vor allem die Amtsträger Dutzende Entschuldigungen, sich
in die Stadt zu begeben. Die Priorei trieb ständig Handel mit Kaufleuten;
schließlich brauchten die Mönche Nahrung, Kleidung, Schuhe, Pergament, Kerzen,
Gartenwerkzeuge, Pferdegeschirr und all die anderen Dinge des täglichen
Bedarfs. Überdies hatten die Mönche Besitz in Kingsbridge; ihnen gehörte fast
die ganze Stadt. Und die Ärzte des Klosters konnten jederzeit zu einem
Patienten gerufen werden, der nicht mehr aus eigener Kraft ins Hospital kommen
konnte. Daher war der Anblick von Mönchen in den Straßen nichts Ungewöhnliches,
und Godwyn, der Mesner, würde schwerlich von jemandem gefragt werden, was er
außerhalb des Klosters verloren hatte.
Trotzdem war es
klug, diskret vorzugehen, und so sorgte Godwyn dafür, dass er beim Verlassen
des Klosters nicht beobachtet wurde. Er ging über den geschäftigen Markt und
dann rasch über die Hauptstraße zum Haus seines Onkels Edmund.
Wie er gehofft
hatte, waren Edmund und Caris geschäftlich unterwegs, und er traf seine Mutter
allein mit den Bediensteten an.
»Welch ein Geschenk
für ein liebendes Mutterherz«, sagte sie.
»Dich zweimal an
einem Tag zu sehen! So habe ich wenigstens Gelegenheit, dich mal richtig zu
füttern.« Sie schenkte ihm einen Krug starken Biers ein und wies den Koch an,
einen Teller mit kaltem Fleisch zu bringen. »Was ist im Kapitel passiert?«,
fragte sie dann.
Godwyn erzählte ihr
die Geschichte. »Ich war voreilig«, sagte er schließlich.
Sie nickte. »Mein
Vater hat immer gesagt: Berufe niemals eine Versammlung ein, wenn das Ergebnis
nicht vorher feststeht.«
Godwyn lächelte.
»Das muss ich mir merken.« »Wie auch immer… Ich glaube nicht, dass du
irgendwelchen Schaden angerichtet hast.« Godwyn war erleichtert. Mutters Zorn
blieb ihm offenbar erspart. »Aber ich wurde im Disput besiegt«, sagte er.
»Und du hast dich
als Wortführer der reformfreudigen jüngeren Mönche etabliert.«
»Obwohl ich mich
zum Narren gemacht habe?« »Das ist immer noch besser, als nicht zur Kenntnis
genommen zu werden.« Godwyn war nicht sicher, ob sie damit recht hatte, doch
wie üblich, wenn er den weisen Ratschluss seiner Mutter anzweifelte,
widersprach er ihr nicht, sondern beschloss, später darüber nachzudenken. »Es
ist noch etwas geschehen«, sagte er, »etwas sehr Merkwürdiges«, und er erzählte
ihr von Richard und Margery, wobei er jedoch die ekelhaften Einzelheiten
wegließ.
Mutter war
fassungslos. »Richard muss wahnsinnig sein!«, sagte sie. »Wenn der Graf von
Monmouth herausfindet, dass Margery keine Jungfrau mehr ist, wird die Hochzeit
sofort abgeblasen. Graf Roland wäre außer sich vor Wut. Man könnte Richard das
Amt entziehen.«
»Aber viele
Bischöfe haben doch eine Geliebte, oder?« »Das ist etwas anderes. Ein Priester
kann eine ›Haushälterin‹ haben, die in allem sein Weib ist, nur nicht dem
Namen nach. Ein Bischof kann sogar mehrere haben. Aber einer Edelfrau kurz vor
ihrer Vermählung die Jungfräulichkeit zu nehmen … selbst der Sohn eines
Grafen hätte Probleme, anschließend Mitglied des Klerus zu bleiben.«
»Was soll ich denn
tun?«
»Nichts. Bis jetzt
hast du alles sehr gut gemacht.« Godwyn glühte vor Stolz. Mutter fügte hinzu:
»Eines Tages kann dieses Wissen eine mächtige Waffe sein. Vergiss das nicht.«
»Da ist noch etwas.
Ich habe mich gefragt, wie Philemon den losen Stein entdeckt hat, und da ist
mir der Gedanke gekommen, dass er ihn ursprünglich als Versteck genutzt haben
könnte. Ich hatte recht — und ich habe einen Armreif gefunden, den Lady Philippa
verloren hat.«
»Interessant«,
sagte Mutter. »Ich habe das starke Gefühl, dass Philemon dir noch sehr nützlich
sein wird. Er wird alles für dich tun; du wirst sehen. Er hat keinerlei Skrupel
und kennt keine
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