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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Tasche stecken —, aber ihm
wird schon was einfallen.«
    Gwenda klang
zuversichtlicher, als sie sich fühlte. Pa war ein Gauner, aber kein besonders
guter. Er würde alles tun, was er tun konnte, um eine neue Kuh zu bekommen — ob
ungesetzlich oder nicht —, aber er könnte damit auch scheitern.
    Sie gingen durchs
Klostertor und auf den weiten Marktplatz. Nach sechs Tagen schlechten Wetters
waren die Händler nass und mürrisch und fühlten sich hundeelend. Sie hatten
ihre Waren im Regen ausgelegt, doch ihre Mühe lohnte sich kaum.
    Gwenda war
verlegen. Sie und Caris sprachen kaum einmal über den so unterschiedlichen
Besitzstand ihrer beider Familien. Wann immer Gwenda zu Besuch kam, gab Caris
ihr wortlos ein Geschenk für zu Hause: einen Käse, einen Räucherfisch, einen
Ballen Stoff, einen Krug Honig. Gwenda dankte ihr dann jedes Mal — sie war
ihrer Freundin in der Tat zutiefst dankbar —, doch ansonsten wurde kein Wort
darüber verloren. Wenn Pa versuchte, Gwenda zu überreden, Caris‘ Vertrauen
auszunutzen und Dinge von Wert aus dem Haus der Woolers zu stehlen, erwiderte
Gwenda stets, dass sie Caris dann nie wieder besuchen könne, wohingegen sie
jetzt wenigstens zwei-, dreimal im Jahr etwas nach Hause brachte. Selbst Pa sah
das ein.
    Gwenda hielt nach
dem kleinen Stand Ausschau, an dem Perkin seine Hennen verkaufte. Annet würde
vermutlich auch dort sein, und wo Annet war, war Wulfric nicht weit. Gwenda
hatte recht. Da war Perkin — fett und gerissen, von schmieriger Höflichkeit
seinen Kunden gegenüber, aber schroff zu jedem anderen. Annet trug ein Tablett
mit Eiern herum und lächelte kokett. Das Tablett spannte das Kleid um ihren
Busen, und blonde Haarsträhnen lugten unter ihrem Hut hervor und umspielten die
rosa Wangen und den langen Hals. Und da war auch Wulfric … Er sah wie ein
verirrter Erzengel aus, der nur eines schrecklichen Irrtums wegen unter die
Menschen geraten war.
    »Da ist er …«,
säuselte Gwenda. »Der Große mit … « »Ich sehe schon«, sagte Caris. »Er sieht
wirklich zum Anbeißen aus.«
    »Jetzt verstehst
du, was ich meine!« »Aber er ist ein bisschen jung, oder?« »Er ist schon
sechzehn. Ich bin erst achtzehn. Annet ist auch achtzehn.« »Wenn du meinst.«
    »Ich weiß, was du
denkst«, sagte Gwenda. »Er ist zu hübsch für mich.« »Nein … «
    »Hübsche Männer
verlieben sich nie in hässliche Frauen, nicht wahr?« »Du bist nicht hässlich
… «
    »Ich habe mich
schon in einem Spiegel gesehen.« Die Erinnerung daran war furchtbar, und Gwenda
verzog das Gesicht. »Ich habe bei dem Anblick geweint. Ich habe eine große
Nase, und meine Augen stehen viel zu nah beieinander. Ich sehe meinem Vater
ähnlich.«
    Caris protestierte:
»Du hast sanfte braune Augen und wunderbares dickes Haar.«
    »Aber Wulfric … er
ist so schön.‘«
    Wulfric stand so,
dass Gwenda und Caris einen guten Blick auf sein ebenmäßiges Profil hatten.
Beide schmachteten ihn einen Moment lang an; dann drehte er sich um, und Gwenda
schnappte nach Luft. Die andere Seite seines Gesichts war zerschunden, das Auge
zugeschwollen.
    Gwenda lief zu ihm.
»Wulfric! Was ist mit dir passiert?« Er erschrak. »Oh, hallo, Gwenda. Ich bin
in eine Schlägerei geraten.« Er wandte sich halb ab; offensichtlich war er
verlegen.
    »Mit wem?«
    »Mit irgendeinem
Junker des Grafen.« »Du bist verletzt!« Er winkte ungeduldig ab. »Mach dir
keine Sorgen. Es geht mir gut.«
    Natürlich verstand
er nicht, warum Gwenda sich solche Sorgen machte. Vielleicht glaubte er sogar,
sie ergötze sich an seinem Leid.
    Dann fragte Caris:
»Mit welchem Junker?«
    Wulfric betrachtete
Caris voller Interesse. Ihre Kleidung verriet ihm sofort, dass sie wohlhabend
war. »Er heißt Ralph Fitzgerald.«
    »Oh … Merthins
Bruder!«, sagte Caris. »Ist er verletzt worden?« »Ich habe ihm die Nase
gebrochen«, erklärte Wulfric stolz.
    »Meine Güte! Hat
man dich bestraft?« »Eine Nacht am Pranger.«
    Gwenda stieß einen
gequälten Schrei aus. »Du Armer!« »So schlimm war es nicht. Mein Bruder hat
dafür gesorgt, dass ich nicht beworfen wurde.« »Trotzdem … « Gwenda war
entsetzt. Gefangen zu sein, egal auf welche Weise, war für sie die schlimmste
Folter.
    Annet fertigte
einen Kunden ab und kam zu den dreien geschlendert. »Ach, du bist es, Gwenda«,
sagte sie kühl. Wulfric mochte Gwendas Gefühle nicht bemerken — Annet bemerkt
sie sehr wohl, und sie behandelte Gwenda

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