Die Tore der Welt
mit einer Mischung aus Feindseligkeit
und Gringschätzung. »Wulfric hat gegen den Knappen gekämpft, weil der mich
beleidigt hat«, erklärte sie, und die Zufriedenheit war ihr deutlich anzusehen.
»Er war genau wie die Ritter in den Balladen.«
Gwenda spie: »Ich
würde niemals wollen, dass er sich um meinetwillen das Gesicht zerschlagen
lässt!«
»Das ist zum Glück
auch eher unwahrscheinlich.« Annet lächelte triumphierend.
Caris sagte: »Oh,
man weiß nie, was die Zukunft bringt.« Annet schaute sie an und war überrascht,
wie erlesen Gwendas Gefährtin gekleidet war.
Caris nahm Gwendas
Arm. »Es war mir ein ausgesprochenes Vergnügen, Hühnerhändler aus Wigleigh
kennenzulernen«, sagte sie in huldvollem Ton. »Auf Wiedersehen.«
Sie gingen weiter.
Gwenda kicherte. »Du warst furchtbar herablassend zu Annet.«
»Sie hat mich
geärgert. Wegen solcher wie ihr haben Frauen einen schlechten Ruf.«
»Annet hat sich
schrecklich darüber gefreut, dass Wulfric ihretwegen verprügelt worden ist! Am
liebsten würde ich ihr die Augen auskratzen!«
Nachdenklich sagte
Caris: »Abgesehen von seinem guten Aussehen … Wie ist er wirklich?«
»Stark, stolz, treu
… ein Mann, der für andere kämpft … der unermüdlich für die Familie sorgt,
jahrein, jahraus, bis zu dem Tag, an dem er tot umfällt.«
Caris schwieg.
Gwenda sagte: »Du
findest ihn nicht so anziehend, oder?« »So wie du ihn beschreibst, klingt er
ein wenig langweilig.« »Wärst du bei meinem Vater aufgewachsen, würdest du
einen guten Versorger nicht als langweilig bezeichnen.« »Ich weiß.« Caris
drückte Gwendas Arm. »Ich denke, er passt wunderbar zu dir. Und um es zu beweisen,
werde ich dir helfen, ihn zu bekommen.« Damit hatte Gwenda nicht gerechnet.
»Wie?« »Komm mit.«
Sie verließen den
Marktplatz und gingen zum Nordrand der Stadt. Caris führte Gwenda zu einem
kleinen Haus in einer Seitenstraße nahe der Pfarrkirche St. Mark. »Hier wohnt
eine weise Frau«, sagte sie. Die beiden Freundinnen ließen die Hunde draußen
und duckten sich durch die niedrige Tür.
Der einzige,
schmale Raum im Erdgeschoss wurde durch einen Vorhang geteilt. In der vorderen
Hälfte standen ein Stuhl und eine Bank. Der Herd musste hinten sein, vermutete
Gwenda, und sie fragte sich, warum jemand verbergen wollte, was in der Küche
vor sich ging. Die Stube war sauber, und starker Kräutergeruch lag in der Luft,
ein wenig beißend, nicht gerade ein Parfüm, aber auch nicht unangenehm. Caris
rief: »Mattie, ich bin‘s!«
Einen Augenblick
später zog eine Frau von gut vierzig Jahren den Vorhang beiseite und kam
hindurch. Sie hatte graues Haar und die bleiche Haut eines Menschen, der die
meiste Zeit im Haus verbrachte. Sie lächelte, als sie Caris sah. Dann musterte
sie Gwenda mit gefurchter Stirn und sagte: »Wie ich sehe, ist deine Freundin verliebt…
aber der Junge spricht so gut wie nie mit ihr.«
Gwenda schnappte
nach Luft. »Woher weißt du das?« Mattie ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie war
kräftig gebaut und kurzatmig.
»Die Leute kommen
aus drei Gründen zu mir: Krankheit, Rache und Liebe. Du siehst gesund aus, und
für Rache bist du zu jung; also musst du verliebt sein. Und dem Jungen musst du
gleichgültig sein, sonst würdest du nicht meine Hilfe suchen.« Gwenda schaute
zu Caris, die zufrieden dreinblickte und sagte: »Ich habe dir ja gesagt, dass
sie weise ist.« Die beiden Mädchen setzten sich auf die Bank und schauten die
Frau erwartungsvoll an.
Mattie fuhr fort:
»Er lebt in deiner Nähe, vermutlich im selben Dorf, aber seine Familie ist
wohlhabender als deine.«
»Das stimmt alles.«
Gwenda staunte. Mattie riet sicherlich nur, doch ihre Aussagen waren so genau,
dass es schien, als hätte sie das Zweite Gesicht.
» Sieht er gut
aus?«
»Sehr.«
»Aber er liebt das
hübscheste Mädchen im Dorf.« »Nun ja … «
»Und ihre Familie
ist wohlhabender als deine.« »Ja.« Mattie nickte. »Das ist nichts
Ungewöhnliches. Ich kann dir helfen, aber du musst eines wissen: Ich habe
nichts mit der Geisterwelt zu tun. Nur Gott vermag Wunder zu wirken.« Gwenda
war verwirrt. Jeder wusste, dass die Geister der Toten die Geschicke der
Lebenden bestimmten. Waren sie zufrieden mit einem, führten sie Hasen in die
Fallen, schenkten einem gesunden Nachwuchs und ließen die Sonne aufs Getreide
scheinen. Tat man jedoch etwas, das sie verärgerte, konnten sie einem Würmer in
die Äpfel
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