Die Tore des Himmels
Herrschaft in Thüringen übernimmt und dass die erlauchte Linie des herrschaftlichen Hauses weitergeführt wird. Das mit dem Haus und der Linie haben der Michel und ich nicht begriffen, aber das mit der Herrschaft schon. Bloß mir ist eigentlich ganz gleich, wer nach dem Landgrafen kommt. Erstens kann ich sowieso nichts dran ändern, und zweitens sind die da droben ja doch einer wie der andere, sagt Lutprant. Die wollen nichts als Steuern und Abgaben und Fronen, und dafür scheißen sie uns dann alle auf den Kopf.
Jedenfalls hat es geheißen, dass jetzt bei Hof alle glücklich sind, wegen dem Kind, vor allem die Landgräfin. Pah! Meine Mutter hat fünf davon, was könnte die erst sagen! Nur, die war gar nicht glücklich, als sie gewusst hat, dass noch eins nachkommt, weil noch ein Maul sattkriegen ist schwer. Aber so ist das halt bei uns armen Leuten, da wird keins mit dem goldenen Löffel in der Hand geboren. Den muss man höchstens klauen, wenn man einen haben will.
Und dann ist was ganz Seltsames geschehen. Am ersten Maisonntag vor der Messe, da geht das Tor vom Steinhof auf, und heraus kommt die Schwarze. Erst hat sie gar keiner erkannt. Sie trug ein grobes, härenes Gewand, wie die Allerärmsten, bloß dass es keine Risse und Löcher hatte und sauber gewaschen war. Das graue Ding hing wie ein alter Sack an ihr herunter, und weil sie groß ist, ging es ihr bloß bis knapp unter die Knie. So hat man auch sehen können, dass sie barfuß war. Auf dem Kopf hatte sie keine Haube und keinen Schleier, sondern nur ein Wolltuch, wie es die Wäscherinnen tragen, hinten gebunden. Sie hat ausgesehen wie irgendein Weib aus dem Volk. Und im Arm hielt sie ihr Kind, das war fein aufgebunden. Hinter ihr kamen dann eine Menge Hofdienerinnen in ihren edlen Kleidern. Mein Engel war dabei, ganz in Grün und wunderhübsch anzusehen. Wie es sich für Engel gehört, trug er eine brennende Kerze, die er mit einer Hand vom Wind abschirmte. Eine andere Hofdame zerrte an einem Strick ein blökendes Schaf hinter sich her, das um alles in der Welt nicht mitwollte und sich mit sämtlichen Beinen dagegenstemmte.
Wir waren natürlich alle da, sogar die Irmel. Wenn die Mutter für eines sorgt, dann dafür, dass wir Kinder sonntags in die Kirche gehen. Halb Eisenach war dabei, als die Dunkle in ihrem Büßergewand zum Kirchenportal ging, gefolgt von ihrem ganzen Haufen Jungfrauen. Alle haben sich angeschaut. »Wofür tut denn die Landgräfin Buße?«, hat jemand gefragt. »Woher soll ich das wissen?«, sagte ein anderer. »Sie bringt wohl das Kind zur Benediktion«, meinte eine Nonne vom Katharinenkloster. »Vierzig Tage nach der Geburt, wie es Sitte ist.« Die Frau des Schellenmachers hat bloß den Kopf geschüttelt. »Wie kommt denn die daher? So ein Aufzug! Das ist doch die verkehrte Welt!«
Auch der Pfarrer war ziemlich verdattert, aber dann hat er sich wieder gefasst, die Landgräfin vor der Kirchentür empfangen, mit ihr Gebete und Psalmen gesprochen und sie dann an der Hand vor den Altar geführt. Die Frauen hinterher, Schaf und alles. Am Schluss hat die Dunkle die brennende Kerze geopfert und den Strick samt Zottelvieh dem Zweiten Pfarrer in die Hand gedrückt. Nach dem Segen und dem Besprenkeln mit Weihwasser sind dann alle wieder aus der Kirche ausgezogen und in den Steinhof zurück.
»Sie wollte durch ihre einfache Kleidung Demut vor Gott zeigen«, hat später der Pfarrer erklärt. Aber in der Stadt hat das keiner verstanden. Vor allem die reichen Bürgersfrauen haben kein gutes Haar an der Dunklen gelassen. »Wieso macht sie sich mit den Ärmsten gemein?«, lästerten sie. »Die muss doch nicht ganz richtig im Kopf sein!« Und die Armen haben sich sogar irgendwie verspottet gefühlt. »Die macht sich ein Späßchen draus, uns nachzuäffen!«, giftete sogar die alte Gepa, die mit ihrem Hund unter der hölzernen Außentreppe in der Salzgasse haust. »Und dann zieht sie die schäbige Wollkotte aus und trägt wieder Samt und Seide. Das würde uns auch gefallen, was? Mal ein bisschen Armut spielen.«
Mich würde das eigentlich nicht stören, ob die Dunkle prächtige Kleider oder von mir aus gar nichts anhat. Hauptsache, sie gibt Almosen, das ist das Wichtigste. »Es ist schon merkwürdig«, sagt Lutprant. »Die alte Landgräfin hat immer die kostbarsten Sachen getragen, da meinten alle, sie sei eitel und prunksüchtig. Und jetzt, wo die Junge in Sack und Asche geht, passt es den Leuten auch nicht. Man kann es im Leben halt keinem
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