Die Tore des Himmels
spricht zu den Leuten, und alles wirkt ernst und feierlich, fast wie ein Gottesdienst. Ja, tatsächlich, sie falten die Hände, sie beten. Dumpfes Gemurmel kommt wie leises Grollen aus ihren Kehlen. Und der unheimliche Alte vorne segnet sie, so sieht es zumindest aus.
Ich kann mich nicht länger in den Zweigen festkrallen und springe ab. Aua, mein Fuß, so ein Mist. Ach du heilige Scheiße, ich hab geschrien! »Michel, hau ab«, rufe ich und versuche fortzuhumpeln. Droben geht das Fenster auf, ich ducke mich ins Gebüsch. Ganz klein mache ich mich und halte den Atem an. Mein Herz klopft, dass mir fast die Brust zerspringt. Gerade, als ich mich wieder bewegen will, packt mich jemand am Kragen und zerrt mich ins Mondlicht hinaus. Ich will schreien, aber die Kehle ist mir wie zugeschnürt.
»Was hast du hier zu suchen, Bürschlein?«
Vorsichtig schaue ich hoch in das Gesicht eines älteren Mannes. Er hat einen Hut auf wie ein Händler oder reicher Handwerker und funkelt mich wütend an.
»N… nichts«, stottere ich. Die anderen aus der seltsamen Versammlung stehen jetzt alle um mich herum. O Gott, hab ich Schiss! Wenigstens ist der Michel weg, denke ich. Außerdem tut mein Fuß verdammt weh.
»Was machen wir jetzt?«, fragt der Mann und wendet sich an den kahlen Alten. Der legt mir den Arm auf die Schulter. »Was hast du gesehen, Junge?«
Ich überlege blitzschnell. »Ich hab den Ortwin gesehen, Herr, wie er ins Haus gegangen ist, und wollte wissen, was er da macht. Aber als ich am Spalier hochklettern wollte, bin ich runtergefallen.«
Jetzt drängt sich Ortwin nach vorn und deutet mit dem Kinn auf mich. »Er ist in Ordnung«, sagt er. »Ich kenne ihn. Wahrscheinlich war er bloß neugierig. Er wird uns nicht verraten.«
Ich atme auf. »Nein, bestimmt nicht, ich schwör’s«, versichere ich. Ich wüsste auch gar nicht, was ich da verraten soll. Gebete sprechen ist doch nicht verboten, oder?
Die anderen schauen erst ein bisschen unschlüssig, aber dann nickt der Kahle. »Es ist gut«, sagt er. »Ich glaube ihm. Und Ortwin hier verbürgt sich für ihn, ist das so, Ortwin?«
Mein Kumpel nickt.
»Ich weiß nicht«, sagt da einer, ein ganz junger im dunklen Umhang. Alle gucken ihn irgendwie ehrerbietig an. »Wir sollten kein Wagnis eingehen.« Mir wird schon wieder mulmig. Der Kerl wirkt wie einer, der gewohnt ist zu befehlen. Er trägt eine Samtkappe, und wenn ich mich nicht ganz täusche, blitzt an seiner Hand ein wertvoller Silberring. Für so was hab ich einen Blick.
»Lass gut sein«, erwidert der Kahle. »Er ist noch ein Kind.«
»Wenn Ihr meint.« Der mit der Samtkappe macht eine lässige Handbewegung, und wieder glänzt der Ring auf. Damit ist es entschieden, der Kahle bedeutet mir mit einem Wink, dass ich gehen kann. Erleichtert drehe ich mich um und will davonhinken, als sich der mit der Samtkappe plötzlich umdreht und mich am Kragen packt. Seine Stimme geht mir durch Mark und Bein, als er mir ins Ohr flüstert: »Kein Sterbenswörtchen, Kleiner, zu niemandem! Sonst komm ich und schneid dir ratzfatz die Gurgel durch, hast du verstanden?«
Ich nicke und renne davon, so schnell ich kann, auch wenn mir der Fuß dabei höllisch weh tut. Nichts wie weg, denke ich. Zwei Ecken weiter wartet Michel auf mich. Mann, bin ich froh, den zu sehen! »Alles klar?«, fragt er.
»Alles klar«, sage ich.
Den ganzen Heimweg über denke ich nach. Warum hatten die Leute Angst, dass ich sie verrate? Was war das für eine merkwürdige Zusammenkunft? Was tut Ortwin dabei? Ich kann mir einfach keinen Reim drauf machen. Aber eins ist klar: Die Sache stinkt. Und zwar gewaltig.
Burg Grimmenstein in Gotha, Frühling 1223
» D u willst Krieg führen gegen deine eigene Schwester?«
»Halbschwester«, knurrte Ludwig. »Und als Witwe steht sie unter meiner Vormundschaft. Schließlich bin ich ihr nächster männlicher Verwandter. Da kann sie nicht einfach heiraten, und dazu noch einen meiner Feinde.«
Elisabeth legte das Wollknäuel hin, das sie gerade aufgewickelt hatte. »Aber Brüderchen, Jutta ist bald doppelt so alt wie du. Und sie ist Markgräfin von Meißen. Da wird sie doch heiraten können, wen sie gern hat.«
»Das verstehst du nicht!« Ludwig fuhr hoch, und Elisabeth zuckte zusammen. »Sie hat sich von Poppo von Henneberg einwickeln lassen. Der will sich durch eine Heirat mit ihr ganz Meißen unter den Nagel reißen, das ist doch klar. Und das werde ich nicht zulassen.«
»Aber …«
»Misch dich nicht ein,
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