Die Tore des Himmels
Elisabeth kannte die Gefahr. Und je länger es dauerte, desto größer wurde ihre Angst.
»Fahnerin, ich bitt schön, schickt meine Jungfern Guda und Gislind noch einmal in die Kapelle, sie sollen der Heiligen Margaretha noch ein Altartuch und drei Pfund gutes Bienenwachs für Kerzen geloben.« Elisabeth setzte sich mühsam in den Kissen auf und hielt sich den gewölbten Leib. »Und lockert mir den Geburtsgürtel, ich halt’s nicht mehr aus, wie er drückt.«
Seufzend schnürte die Fahnerin den Gürtel lockerer. In das Leder waren kleine Knöchelchen aus dem Fußgelenk von Kaninchen eingenäht, die nach altem Volksglauben die Frucht aus dem Leibe springen ließen. Schon so vielen Frauen der Ludowingerfamilie hatte er beim Gebären geholfen, nur nicht Elisabeth. Er war gar nicht zu fest gewesen, aber die kleine Landgräfin war einfach hilflos und überempfindlich vor lauter Angst. »Denkt an die Jungfrau Maria«, sagte sie, »auch sie hat unter Schmerzen den Menschensohn geboren. Und die Heilige Margaretha hilft immer bei schweren Niederkünften.«
Elisabeth nickte. Sie wollte tapfer sein, so gut es ging. Aber sie fühlte sich entsetzlich allein unter diesen Frauen des Hofadels, die sie – und das wusste sie wohl – alle nicht mochten. Die Schlotheimerin zum Beispiel, die seit Jahren hinter ihrem Rücken gehässige Bemerkungen über ihr Aussehen machte. Oder die Eckardsberga, die ihr nachtrug, dass sie sie einmal auf ihre viel zu kostbaren Gewänder beim Kirchgang angesprochen hatte. Oder die Treffurterin, die sie nicht leiden konnte, weil sie zwar großzügig den Armen gab, den Damen von Adel aber keine Geschenke machte. Sie alle hielten die junge Landgräfin dafür verantwortlich, dass es bei Hof nicht mehr so üppig und fröhlich zuging wie früher, dass die teuren Gastereien weniger geworden waren und die Dichter und Sänger in Thüringen keine Heimstatt mehr hatten. Keine von ihnen wäre traurig, dachte Elisabeth, als die nächste Wehe abgeklungen war, wenn ich die Geburt nicht überleben würde. Es trieb ihr die Tränen in die Augen.
Und dann fiel ihr eine ein, eine, der es nicht gleichgültig sein würde, ob sie die Geburt überstand. Eine, die ihr schon einmal beigestanden hatte, als sie allein und verzweifelt war.
»Holt mir die Isentrud von Hörselgau.«
»Aber Liebden«, versetzte die Eckardsberga, »Frau Isentrud ist nicht bei Hof, und Hörselgau liegt etliche Stunden Ritts entfernt.«
»Holt mir die Isentrud!« Elisabeths Befehl ging in einem jammervollen Schrei unter, sie bäumte sich auf.
Die Frauen sahen sich an. Wieder einer dieser sturköpfigen Einfälle ihrer Herrin. Was sollte die Hörselgauerin hier schon ausrichten? Schließlich zuckte die von Schlotheim mit den Schultern. »Lasst uns in Herrgotts Namen einen schnellen Boten schicken. Vielleicht schafft sie es ja noch rechtzeitig, um helfen zu können.«
Sieben Stunden später, nach einem Höllenritt durch Nacht und Nebel, saß Isentrud von Hörselgau am Bett der völlig erschöpften Gebärenden. Inzwischen waren die Frauen in heller Aufregung. Die Wehen hatten nachgelassen, und das Kind bewegte sich kaum noch. Sogar der Arzt war noch einmal herbeigeholt worden, obwohl er natürlich in Frauensachen wenig Kenntnis hatte. Immerhin hatte er Elisabeth einen Stärkungstrank aus Wein und Eiern gereicht, der ihr wieder ein wenig Farbe ins Gesicht getrieben hatte. Geholfen hatte es aber nichts. Die Wehen kamen zwar häufig, wurden aber immer schwächer. Man hatte gebetet und den Kaplan geholt, der mit allem, was er für die letzte Ölung brauchte, in einer Ecke des Raumes hockte und hilflose Blicke gen Himmel schickte.
»Isentrud, helft mir«, flüsterte Elisabeth, »ich weiß, Ihr liebt mich. Ich will nicht sterben.«
Die Hörselgauerin rang die Hände, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. »Ruhig, Liebden, ruhig. Ich habe in der Küche schon einen Absud aus Wermut, Bachkresse und Petersilie ansetzen lassen, der kommt gleich. Das bringt die Wehen wieder in Gang.«
Elisabeth nickte schwach, während die Wehfrau sich empört abwandte. Genau denselben Trank hatte sie der Schwangeren auch schon verabreicht. Und, hatte es etwas genützt?
Folgsam trank Elisabeth das bittere Gebräu, während Isentrud und die anderen ihr warme Wickel mit Schafgarbenblättern auf den Leib legten. Doch nach einer Stunde waren die Wehen fast ganz abgeklungen.
Da spürte Isentrud, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Es war Gislind, sie
Weitere Kostenlose Bücher