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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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selber gesehen: Da gibt es einen kleinen Raum, in dem Feuer geschürt wird, und von dem aus leiten sie die heiße Luft in Schächten unter dem Fußboden weiter. Damit’s die da droben an den Füßen warm haben – wo die sich doch Schuhe leisten können und im Winter sogar fellgefütterte Stiefel! Und was macht unsereins? Läuft barfuß und kriegt Frostbeulen. Aber der liebe Gott hat jeden an seinen Platz gestellt, sagt der Pfarrer, und was wir schon im Leben abbüßen, verkürzt unsere Zeit im Purgatorium. Na ja, wenn pro Frostbeule ein Jährchen Fegefeuer wegfällt, soll’s mir recht sein. Sünden hätt ich schließlich genug, sagt Mutter. Oder ich geh vielleicht doch noch zu Ortwins Freunden und lass mich vor dem Tod komplett erlösen.
    Weil ich neulich mitten beim Steineschleppen umgekippt bin – mir war einfach vor lauter Hunger schlecht –, hat mich der ausländische Oberaufseher zu den Schreinern und Zimmerleuten gesteckt. Da darf ich jetzt Bretter hobeln, Späne aufkehren, Gerüste aufbauen helfen und Werkzeug mit ausbessern. Das macht viel mehr Spaß und ist auch nicht so anstrengend. Wenn ich jetzt abends heimkomme, bin ich nicht ganz so müde. Manchmal bring ich mir ein Stück weiches Holz mit und schnitze noch ein bisschen dran herum. Die Ida hat von mir einen Puppenkopf bekommen, den sie auf den abgebrochenen Stiel von Mutters Kochlöffel stecken und dann ein Kleid aus Lumpen drumwickeln kann. Und für das Irmelchen hab ich ein Schaf gemacht, aber das kann man schon gar nicht mehr erkennen, weil sie dauernd drauf rumkaut. Das Hannolein ist aus Versehen auf sein Pferdchen draufgetreten, er sieht ja nicht so richtig mit seinem verdrehten Auge. Man weiß nie, ob er einen grad anschaut oder nicht.
     
    Zu Mittsommer gab es dann ein großes Fest für alle Bauleute, weil ein wichtiger Teil der Arbeiten abgeschlossen worden ist. Der Baumeister hat verkündet, dass ein Wettschießen und Gesellenrennen auf der Rolle stattfindet. Und dass es umsonst kleine Würste und Backwerk gibt, solang es eben reicht. Auch für die Armen sollte es was geben, das war, sagt der Baumeister, ausdrücklicher Wunsch der Landgräfin. Also hat er an den Brotbänken Wecken ausgeben lassen und der Eisenacher Schultheiß hat zur allgemeinen Belustigung eine Sau gestiftet zum Schweineschlagen.
    Das Schweineschlagen ist so zum Lachen wie nur irgendwas. Man baut einen Pferch und tut ein Rüsselvieh hinein. Und dann kriegen alle Blinden in der Stadt einen Knüppel und werden zum Schwein hineingelassen. Fünf Blinde haben sie gefunden, die mitmachen. Die haben natürlich ständig danebengedroschen, weil die Sau ist ja nicht blöd und haut ab. Ist ja auch die Einzige, die was sieht. Und dann haben sie sich selber mit ihren Knüppeln getroffen, immer fröhlich drauf, und richtig wütend sind sie drüber geworden. Ein lustiges Durcheinander war das, der eine fällt hin, die anderen stolpern drüber, jeder haut hin, wo er glaubt, dass die Sau ist. Drumherum ein Haufen Leute, die johlen und brüllen und feuern die Blinden an, oder die Sau, je nachdem. Irgendwann ist dann das Vieh erschlagen, und die Blinden dürfen sich zur Belohnung das Fleisch teilen.
    Beim Messerwerfen hat der Ortwin den dritten Platz gemacht und einen Käse gewonnen. Das Gesellenrennen ist ausgefallen, weil sich die Gesellen vorher schon so besoffen haben, dass sie nicht mehr laufen konnten. Dafür haben sie dann schnell noch ein Weiberrennen um ein seidenes Schultertuch abgehalten, bei dem die Stadthuren gegeneinander angetreten sind. Die rote Jutta hat gewonnen – klar, Rothaarige sind ja auch mit dem Teufel im Bund, weiß doch jeder!
    Am Abend gehe ich langsam heim, als ich in einem Seitengässchen die Blinden sehe mit dem, was von ihrer Sau noch übrig ist. Drei von ihnen liegen vollgefressen rum und schnarchen, die anderen zwei streiten sich um den Saukopf. Schnell sehe ich mich um: Sonst ist niemand da. Leise schleiche ich mich an, lange zwischen die zwei Streithähne, greife mir ein Schweineohr und schnappe mir den blutigen Saukopf. Die Blinden kriegen mit, dass irgendwas nicht stimmt und springen auf, aber da bin ich schon mit meiner Beute über alle Berge. Einfacher geht’s nicht!
    Die Mutter macht aus dem Kopf eine Suppe, die einen Toten aufwecken könnte. Und das Hirn kriegt das Hannolein ganz alleine, weil Hirn macht klug, und das kann unser Kleiner weiß Gott brauchen.
     
    Eine Woche nach dem Sauschlagen zieht der Landgraf mit seinem Hofstaat auf der

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