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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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beide machen sich am Bett zu schaffen. Ich hab verdammt Angst, und Ida auch. Die Frauen flüstern dauernd und wischen Blut auf und wechseln die Laken und schauen uns Kinder gar nicht an.
    Irgendwann sind sie fertig, und die Hausmännin sagt zu uns: »Eure Mutter schläft jetzt.«
    »Was hat sie?«, frage ich ängstlich. »Muss sie jetzt sterben?«
    Die Hausmännin fährt mir übers Haar. »Ich denke nicht, so Gott will. Aber sie ist sehr schwach, weil sie viel Blut verloren hat.«
    »Warum?«
    Sie gibt keine Antwort. Stattdessen schnappt sie sich das Irmel und wickelt die Windel auf. »Schau dir das an, Hilde«, brummt sie, »wund bis zum Bauchnabel, das arme Wurm.«
    »Weil sie dauernd verschissen ist«, erklärt Ida.
    Die Hausmännin grunzt. Sie hält das Irmel mit dem Hintern in den Wasserbottich und wäscht sie sauber, dann holt sie ein trockenes Tuch aus ihrem Korb und wickelt sie neu. »Und ihr?«, sagt sie schließlich, stemmt die Arme in die Hüften und schaut uns an mit einer Mischung aus Grausen und Mitleid. Ausgerechnet jetzt knurrt mein Magen so laut, dass man’s bis zum Mittwochsmarkt hören kann. Da schüttelt sie den Kopf und geht, samt Tochter.
    Bald darauf sind die beiden wieder da, mit einer großen Schüssel Brei. Wir stürzen uns mit unseren Holzlöffeln auf den dicken Pamp und essen und essen. Sogar ein bisschen süß ist er, sie muss Honig hineingetan haben. Die Hilde hat Irmel auf dem Schoß und füttert sie, dass sie schmatzt. Das Hannolein hat überall Brei im Gesicht, und der Ida läuft er übers Kinn. Eigentlich will ich sagen, dass wir Michel was aufheben müssen, aber es schmeckt so gut, dass wir nicht aufhören können.
    »Arme Dinger, die«, murmelt die Hausmännin. »Ein Jammer ist das.«
     
    Am nächsten Tag geht es der Mutter ein bisschen besser. Michel ist inzwischen heimgekommen und hat schon in aller Früh ein Stück Schweineleber vom Schlachter geholt. Womit er die bezahlt hat, will ich gar nicht wissen. Die Leber muss sie roh essen, weil sie so wenig Blut hat, sagt die Hausmännin. Sie kriegt auch noch eine Schale Rindsknochensuppe, und die Hilde bringt uns noch einmal einen Topf voll Brei. Als sie gehen, flüstern die beiden wieder miteinander. »Gut, dass sie das Kind verloren hat«, sagt die Hausmännin, »wie hätte die Ärmste noch ein Maul stopfen sollen?«
    Das Hannolein ist manchmal gar nicht so blöd. Er hat alles gehört und fragt laut: »Wo hat sie’s denn verloren?«, worauf Ida ihn schubst. »Du sei still!«, sagt sie, und die Frauen scheuchen sie und Hanno weg.
    »In dem feuchten Loch krepieren die doch sowieso früher oder später am Lungenfluss«, sagt die Hilde vor der Tür zu ihrer Mutter. »Wenn sie nicht vorher hungers sterben.«
    »Ich rede mit dem Pfarrer«, sagt die Hausmännin.
     
    Am nächsten Tag kommt der Pfarrer. Er ist jung und schwitzt dauernd und sieht mit seinem dicken Bauch und den runden Backen richtig rausgefressen aus. Während er sich in unserem Keller umsieht, schüttelt er andauernd den Kopf. Die Mutter schämt sich, und wir auch. »Mechtel«, sagt der Pfarrer, »hast du denn keinen Mann?«
    Mutter kriegt rote Flecken im Gesicht und schüttelt bloß den Kopf.
    »Und von wem war das Kind?«
    Sie gibt keine Antwort, und der Pfarrer macht eine strenge Miene. »Wovon lebt ihr?«
    »Mein Primus arbeitet auf dem Bau«, sagt sie.
    Der Pfarrer schaut mich an. Na ja, und da muss ich jetzt endlich zugeben, dass ich keine Arbeit mehr habe. Die Mutter schwankt ein bisschen und muss sich auf die Bettstatt setzen. Dann sollen wir Kinder uns alle vor dem Pfarrer aufstellen, und er guckt uns an. Zum ersten Mal sehe ich uns, wie uns ein Fremder sehen würde. Das Irmel mit seiner durchweichten Windel, die schon wieder fast in den Knien hängt. Das Hannolein mit seinem Rollauge, dem dreckverschmierten Kinn und den krätzigen Armen. Die Ida, der die Mutter erst letzthin das Haar geschoren hat wegen der Läuse, in ihrem löchrigen Flickenkleid. Der Michel mit seinen verschlissenen Hosen und Lutprants viel zu großem alten Hemd, das er auftragen darf. Und ich, in meinen schmutzigen Kleidern vom Bau, die Augen rot und entzündet vom Steinstaub. Allesamt knochendürr und ohne Schuhe. So stehen wir da; der Pfarrer starrt uns an und wir starren zurück. Irgendwann fängt das Irmel ganz elendiglich an zu husten, und das Hannolein hält es nicht mehr aus und fragt, ob der Pfarrer jetzt das verlorene Kind suchen gehen will. »Gott erbarm sich«, sagt der Pfarrer

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