Die Tore des Himmels
und schnauft einmal tief durch. Dann ist er weg.
Am nächsten Tag kommt der Büttel vorbei und sagt uns, dass wir vom Rat für das nächste halbe Jahr unter die verschämten Hausarmen der Stadt aufgenommen sind. »Jeden Mittwoch, wenn das Almosenglöckchen läutet, müsst ihr zum kleinen Holzhäuschen am Kirchhofseingang kommen. Da gibt’s dann eine Schüssel mit Brot oder Grütze und Gemüse und eine Ration Brennholz zum Kochen.« Der Büttel drückt meiner Mutter eine blecherne Armenmarke in die Hand, die sie beim Abholen vorzeigen soll. Dann schaut er sich noch kurz um, grunzt verächtlich und geht.
»Jetzt sind wir endgültig nichts anderes mehr als Bettler«, sagt die Mutter bitter und wischt sich die Tränen aus den Augen. »Lieber Herr Jesus, was haben wir nur verbrochen?«
Nichts, denke ich. Ich glaube, dem Herrn Jesus sind wir einfach nur scheißegal.
Nachts im Bett, als die Mutter schon schläft, zupft mich die Ida am Ärmel. »Meinst du, dass das mit uns immer so weitergeht?«, fragt sie leise.
»Irgendwann wird alles besser«, flüstere ich zurück, »ich schwör’s.«
Kaiserburg zu Nürnberg, November 1225
B ei stürmischem, kaltem Herbstwetter ritt die Thüringer Hochzeitsgesellschaft durch das Laufer Tor in der weitberühmten Kaiserstadt ein. Der prächtige Zug war eine halbe Meile lang. An der Spitze trabte, nach allen Seiten grüßend, der Landgraf, neben ihm seine junge Frau, über die man schon so viel Merkwürdiges gehört hatte. Gleich dahinter folgten die Landgrafenmutter Sophia und seine Schwester Agnes, die sehnsüchtig erwartete Braut. Aufrecht und stolz saß sie auf ihrem schneeweißen Zelter, den blausilbernen, hermelinbesetzten Mantel vom Wind gebläht. Einige Schaulustige brachen bei ihrem Anblick in Hochrufe aus, worauf sie huldvoll ein paar Pfennige in die Menge warf. Es dauerte lange, bis der bunte Tross, bestehend aus fast zweihundert Hofadeligen und Bediensteten, alle in den Ludowinger Farben gekleidet, das Tor passiert hatte. Man ritt durch die eigens dafür neu gepflasterte Spiegelgasse, vorbei am Schottenkloster und am Heumarkt bis zum Salzmarkt hinter dem Rathaus. Vor dem ehrwürdigen alten Peterskirchlein, das die Gebeine des berühmten Stadtpatrons Sebaldus barg, bog der Thüringer Zug auf den Burgberg ein. Steil ging der Anstieg hinauf zur Festung, die majestätisch und weithin sichtbar auf einem langgezogenen Sandsteinfelsen thronte. Ihr größerer, westlicher Teil mit Palas und Burgfried war in kaiserlichem Besitz, gleich daneben lag die Burggrafenburg, in der Konrad von Zollern als Stellvertreter des Kaisers residierte.
Noch auf der Burgfreiung, bevor sie in den inneren Hof einreiten konnte, wurde die junge Braut von ihrem zukünftigen Ehemann empfangen, Herzog Heinrich von Österreich. Artig beugte er das Knie und half Agnes ein wenig ungeschickt aus dem Sattel. Agnes rümpfte die Nase beim ersten Anblick ihres Bräutigams. Heinrich war ein dicklicher, blonder Siebzehnjähriger mit vorstehenden Zähnen, wulstigen Lippen und watschelndem Gang. Es hieß, er sei etwas langsam und ohne viel Temperament, außerdem habe er schlechte Augen. Aber mit ihm machte sie eine wirklich gute Partie, und das war es schließlich, was zählte. Über die Verbindung mit ihm würde sie zur Schwägerin des Königs, welch ein Triumph! Denn die thüringisch-österreichische Hochzeit war nicht die einzige, die am nächsten Tag stattfinden sollte. Es würde eine doppelte Feier geben: Der junge König Heinrich, Sohn des großen Stauferkaisers Friedrich und Herrscher des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, würde gleichzeitig die ältere Schwester des Österreichers heimführen, Margarete. Das königliche Paar war bereits vor zwei Tagen angekommen und hatte die Nürnberger Bürgerschaft schon mit der Abhaltung eines Turniers erfreut. Jetzt, nach der wegen des Wetters etwas verspäteten Ankunft der Thüringer Braut, konnte die Trauung endlich stattfinden.
Am nächsten Morgen war die Doppelkapelle auf der Kaiserburg zum Bersten gefüllt. Nur die Familien der Brautleute und die ranghöchsten Adeligen waren in den beiden Stockwerken der kleinen Kapelle zugelassen, alle anderen warteten draußen im großen Saal. Bischof Ekbert von Bamberg, Elisabeths Onkel, genoss das Privileg, die Trauung vorzunehmen, und stand in vollem Ornat vor dem Altar. Es roch nach Weihrauch und den Duftölen der adeligen Damen; die Stimmung war ernst und feierlich.
Elisabeth saß mit ihren Dienerinnen und
Weitere Kostenlose Bücher