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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Ich kenne diese Leute, weil ein Freund von mir zu ihnen gehört. Für ein Handgeld passe ich nachts bei ihren Treffen auf, dass keiner sie entdeckt. Sie glauben an den Satan oder das Böse oder so. Sie sagen, der Satan ist so mächtig, dass der Mensch gar nicht anders kann, als böse zu sein. Also braucht er sich gar nicht gegen die Anfechtungen des Teufels zu wehren, weil es ohnehin sinnlos ist. Drum kann er nach Herzenslust Sünden begehen, wie er grad will. Und bevor er dann stirbt, lässt er sich von seinem Priester alles vergeben und kommt so trotzdem gradwegs in den Himmel.« Er rümpfte die Nase. »Wär ganz schön einfach, wenn’s so gehen würde, oder?«
    Ich schnappte nach Luft. Konnte das wahr sein? Der Ring fiel mir wieder ein, den Heinrich getragen hatte, und vorher sein Vater. »Und du sagst, der Bruder des Landgrafen gehört zu diesen … Ketzern?«
    »Ich bin mir ziemlich sicher, aber natürlich ist es immer dunkel, wenn ich ihn sehe. Jedenfalls, wenn er es ist, ist er meistens dabei, zumindest in letzter Zeit. Manchmal kommt er dann zusammen mit dem Priester.«
    »Weißt du seinen Namen?« Ich wagte kaum zu denken, dass …
    Er schüttelte den Kopf.
    »Hör mir zu, Primus«, sagte ich, nachdem ich mich wieder gefasst hatte. »Diese Leute sind Luziferianer. Man nennt sie auch Katharer, und sie werden von der Kirche verfolgt. Wer mit ihnen in Verbindung gebracht wird, den kann es das Leben kosten. Sei also um Gottes willen vorsichtig. Und kein Wort über den Bruder des Landgrafen zu irgendjemandem. Hast du mich verstanden?«
    »Klar. Ich bin ja nicht blöd. Aber du verrätst mich auch nicht!«
    Ich fasste einen Entschluss. Ich wollte nicht nur den Worten eines Jungen glauben; ich musste Sicherheit haben über Heinrich Raspe. »Wann treffen sich diese Leute wieder?«
    »Sonntag vor Judica.«
    Das war in zwei Tagen.
    »Ich will dabei sein.«
    »Ohne mich.« Er wandte sich zum Gehen.
    Ich packte ihn am Handgelenk. »Wo und wann treffen wir uns?«
    Er seufzte. »Bei Sonnenuntergang am Brunnen hinterm Greifenhaus. Zieh dir was Dunkles an.«
     
    Zwei Tage später stand ich im schwarzen Mantel in der Toreinfahrt des Greifenhauses. Ich hatte Isentrud gebeten, mich zu decken, falls jemand mich nachts vermisste, und sie hatte mich zwar mit einem merkwürdigen Blick angesehen, aber nicht nachgefragt. Sie ist immer eine wahre Freundin gewesen.
    Es war schon dunkel; in den meisten Häusern brannte schon kein Licht mehr. Im Winter ging man früh schlafen, Kerzen und Talg kosteten schließlich Geld. Ein blasser Halbmond schob sich hie und da aus den Wolkenbänken und tauchte die Stadt in fahles Licht.
    Primus huschte um die Ecke. »Willst du immer noch unbedingt?«, flüsterte er und zog unbehaglich die Schultern hoch.
    »Ja«, raunte ich. Im Schein des Mondes sah ich, dass er seine neuen Schuhe trug, aber zu ihrer Schonung trotzdem noch die Lumpen drumherumgewickelt hatte.
    »Dann komm.«
    Er nahm mich bei der Hand und zog mich in Richtung Münzhaus. Als wir angekommen waren, quetschte er mich in einen schmalen Spalt zwischen einem stinkenden Abtrittshäuschen und einem Schuppen. »Rühr dich nicht«, flüsterte er, »sie müssen bald kommen.«
    Und tatsächlich, es dauerte nicht lang, bis die ersten Gestalten an uns vorbeihuschten. Ein großer Kerl mit weitem Mantel grüßte kurz zu Primus herüber, der an der Ecke des Schuppens lehnte. Gleichzeitig zeigte sich kurz der Mond, und ich sah, dass der Mann eine lange Narbe seitlich auf der Stirn hatte. Dann ging im Haus gegenüber ein schwaches Licht an; gleichzeitig wurden von innen die hölzernen Läden in die Fenster eingesetzt, die im Winter die Kälte abhielten. Ich war enttäuscht. In der Finsternis hatte ich bisher niemanden erkennen können, und mit Hineinschauen war es nun auch nichts. Primus wartete noch ein Weilchen, bis er sicher war, dass niemand von den Ketzern mehr kam. Dann gab er mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Ich schlich im fahlen Mondlicht hinter ihm her zur Rückseite des Hauses. »Früher waren sie immer im oberen Stock«, raunte er mir zu, »aber jetzt sind sie mehr und benutzen die Stube unten. Im zweiten Fensterladen ist ein Spalt, da kannst du durchschauen.«
    Mit klopfendem Herzen näherte ich mich dem Fenster und schielte vorsichtig durch den Riss im Holz. Drinnen standen vielleicht fünfzehn Männer und Frauen, die mir alle den Rücken zuwandten. Erwartungsvoll blickten sie zur Stubentür, bis ein Mann im Kapuzenumhang eintrat. Die

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