Die Tore des Himmels
Familie sorgen kann.
»Und außerdem ist doch sowieso alles ganz gleich«, flüstert Mutter ganz leise vor sich hin, aber ich höre es genau.
Wenigstens ist sie keine von den Winkelhuren, die sich jeden Abend an der Stadtmauer feilbieten müssen. Sie lässt sich nur vom Wirt vögeln, und, das hat sie mir noch erzählt, ab und zu von einem seiner Gäste. Mit denen geht sie dann in eine Kammer unterm Dach der Taverne. Mit deinem Vater hat’s angefangen, sagt sie und zuckt die Schultern. »Was bin ich denn schon wert?« Ihre Augen sind dunkel und leer, und um ihren Mund sind Falten, die vorher nicht da waren.
»Die Heilige Maria von Magdala war auch eine Hure«, tröstet sie der Pfarrer bei der Beichte. Das finde ich freundlich von ihm. Noch freundlicher wäre es, wenn er ihr aus der Kollekte was zukommen lassen würde, anstatt das Geld für Kerzen und so Zeug auszugeben. Dann müsste Mutter nämlich nicht mehr zur Maria Magdalena beten. Aber der liebe Gott richtet die Dinge schon so ein, wie sie sein sollen, oder? Da soll man nicht dazwischenpfuschen.
Außerdem muss die Kirche ja ein Gutteil ihrer Einnahmen als Kreuzzugssteuer abliefern. Denn bald wird’s ernst. In der Stadt reden die Leute schon seit dem Winter kaum von etwas anderem mehr. Im Sommer bricht der Landgraf auf ins Heilige Land, heißt es. Fast der ganze thüringische Adel zieht mit. Und diejenigen, die die Fahrt gelobt haben, Bürger, Bauern, alle Mann. Und die Armen, die ohne Arbeit, die Unbehausten. Die wollen ihr Glück machen, und selbst wenn sie’s nicht schaffen – im Heiligen Land kann’s schließlich auch nicht schlimmer sein als daheim. Und dann gehen natürlich noch die Verbrecher mit und die Sünder. Die brauchen den Ablass, sonst schmoren sie ewig in der Hölle. Und viele Huren und feile Weiber. Denn so viele Männer auf einen Haufen, mit denen lassen sich gute Geschäfte machen. Ich denke immer wieder an Michel. Der Kreuzzug war sein größter Traum. Und mit jedem Tag, der vergeht, zieht es mich mehr auf die weite Fahrt. Aber ich kann doch nicht die Mutter alleine lassen und die Geschwister. Wer ist dann der Mann im Haus? Dauernd bin ich hin- und hergerissen. Daheim ist es so schlimm. Eine bessere Arbeit finde ich auch nicht. Und im Heiligen Land kann ich vielleicht Beute machen. Oder bei einem reichen Mann Knecht werden. Oder, ich weiß auch nicht, was, einfach mal Glück haben. Ich will einfach nur weg. Weg, weg, weg.
Und dann, im Mai, als die Vorbereitungen überall sichtbar werden, sagt die Mutter zu mir: »Der Michel, der hat viel auf dem Kerbholz gehabt, oder?«
Wie kommt sie jetzt darauf? Ich verteidige ihn. »Schon. Aber umgebracht hat er keinen, bloß überfallen und so.«
»Weißt du«, redet sie weiter, »ich muss so oft dran denken, wo er jetzt ist. Ob er im Fegfeuer schmoren muss …«
Ich fürchte schon, das sag ich ihr aber nicht. Mir sitzt ein Kloß im Hals. Sie fährt mir durchs Haar. »Manchmal kommt mir der Gedanke, ob es nicht gut wäre, wenn jemand am Heiligen Grab für ihn beten würde. Ob ihn das erlösen würde von seinen Sünden.«
Ungläubig sehe ich sie an. Sie lächelt unter Tränen. »Ich weiß doch, dass du gehen willst. Du hast doch drüber geredet mit ihm, an seinem Sterbebett.«
»Ja, aber …«
»Wir kommen schon zurecht«, sagt sie. »Irgendwie. Schau, die Ida wird von dem satt, was sie im Kloster bekommt. Und die anderen zwei, die bringe ich schon durch, mit dem Almosen und den geilen Mannsbildern. Und wenn du dann zurückkommst …«
Ich umarme sie ganz fest.
»Geh für den Michel«, sagt sie.
»Ich hab dich lieb«, sage ich.
Minnelied, Friedrich von Hausen (gest. 1190)
Mein Herz will sich von meinem Leibe scheiden,
die miteinander fuhren manche Zeit.
Der Leib will freudig fechten mit den Heiden,
das Herz jedoch hat sich erwählt ein Weib
…
Vermag ich dich davon nicht abzuwenden,
dass du, mein Herz, mich bringst in schlimmen Zwist,
so bitt ich Gott, er möge dich entsenden
an jenen Ort, wo du willkommen bist.
…
Ich glaubte frei zu sein von solcher Schwere,
nähm ich das Kreuz zu Gottes Ehre an.
Es wäre recht auch, dass dem also wäre,
doch hält die Treue mich in Herzensbann.
Ich wäre wohl ein lebensfroher Mann,
geläng es mir, dass ich mein Herz bekehre,
durch dessen Torheit ich mich ganz verzehre
und dessen Wahl ich nicht verwerfen kann.
Schmalkalden, 23 . Juni 1227
E s war der Tag vor Johanni. Vor den Toren Schmalkaldens hatte das thüringische
Weitere Kostenlose Bücher