Die Tore des Himmels
rein, was ich kriegen kann. Solange ich nicht davon kotzen muss, soll’s mir recht sein. Satt ist satt.
Oft muss ich an daheim denken. Ob es ihnen allen gutgeht? Die Mutter hat bestimmt Sehnsucht nach mir. Wenigstens hat sie ja noch die Ida, das Irmel und das Hannolein. Ich hoffe, dass mein Engel nach ihnen schaut, wie er’s versprochen hat. Dann müssen sie bestimmt keinen Hunger leiden. Manchmal liege ich nachts wach und stell mir vor, dass wir alle um den Tisch sitzen und süßes Brot mit Honig essen. Das Hannolein hat den Honig im ganzen Gesicht, das Irmel schleckt sich die Finger ab, und Ida und Mutter kauen mit geschlossenen Augen. Ach, ich glaube, die allermeiste Sehnsucht hab doch ich. Es stimmt schon, was die Leute sagen: Am schönsten ist es daheim!
Aber dann sehe ich, dass es doch noch was Schöneres gibt als Thüringen. Die Städte, durch die wir kommen, sind beeindruckend! Mit Mauern und Türmen drumherum, noch viel stärker und wehrhafter als die von Nürnberg, und die ragen ja schon in den Himmel. Und fast alle Häuser sind aus Stein, nicht wie bei uns aus Lehm und Holz. Und in den Städten drin gibt’s sogar riesenhohe Türme, da wohnen die ganz Reichen. Und fast alle Straßen sind mit Steinen gepflastert! Wenn man so was einmal gesehen hat, dann kommt einem Eisenach vor wie ein elendes kleines Nest. Wenn ich da an unseren aufgeblasenen Schultheißen denke – dem werd ich mal erzählen, was er eigentlich für ein Wicht ist!
Wir halten uns zwei volle Tage in der Stadt Verona auf, die an dem Fluss Etsch liegt, dem wir schon die ganze Zeit talabwärts folgen. Hier müssen die Getreidevorräte aufgebessert werden. Dann wendet sich unser Zug nach Westen. Das ist zwar ein Umweg, sagt der alte Kaufmann, aber es geht nicht anders, weil es zu Piacenza auf Hunderte von Meilen die einzige Brücke über den größten Fluss Italiens gibt, den Po. Sonst müssten wir durch eine Furt, aber das wäre ganz schlecht, weil der Po grade viel Wasser führt. Von der Stadt Brescia aus geht’s also geradewegs in die Ebene hinein. Unser Kaufmann erzählt, dass diese Poebene das Allerschönste an Italien ist. Er nennt sie einen »wahrhaften Garten der Wonnen« und das »schönste Fürstentum der ganzen Christenheit«. Und er hat recht: Das Land ist fruchtbar, hier wächst und gedeiht alles, was man sich nur vorstellen kann, von Obst über Gemüse bis hin zu allen möglichen Sorten Getreide. Und Reis, dessen Felder aussehen wie hellgrünes Gras. Alles gibt es im Überfluss, sogar Schweine und Rinder züchten sie hier in großer Zahl. Wir kommen an großen Bauernhöfen vorbei, die aussehen wie bei uns daheim die ritterlichen Ansitze. Ja, es ist hier wie im Paradies, bloß vielleicht ein bisschen zu heiß und stickig für meinen Geschmack. Weil das Land so feucht ist, sieht man nie den klaren Himmel, sondern immer nur diesigen Dampf, der aufsteigt bis zur Sonne. Wir marschieren langsamer und schwitzen trotzdem bald mehr, als wir trinken können. Wer nicht genug trinkt, dem wird schlecht, und dann fällt er um.
Endlich erreichen wir Piacenza. Die Menschen empfangen uns wie überall mit Beifall und Freudengeschrei. Unsere Gruppe hat das Glück, von einem reichen Bürger eingeladen zu werden, der zu faul ist, um ins Heilige Land mitzukommen, aber den Kreuzfahrern was Gutes tun will. Im Hof seines Hauses, das eigentlich eher ein Palast ist, hat er einen Ochsen gebraten, dazu bekommen wir salzloses Brot und richtigen Wein, weil man hier kein Bier kennt. Ein wahrhaftes Mahl für einen König! Ich glaube, ich bin zum ersten Mal im Leben ein bisschen betrunken. Irgendwie ist mir schwummerig, alles finde ich zum Lachen, und ich rede jede Menge dummes Zeug.
Am nächsten Tag hab ich Kopfschmerzen. Aber es hilft nichts, wir brechen in aller Frühe auf und überqueren den großen Fluss auf einer steinernen Brücke. Wir sind jetzt auf dem Weg, der Frankenstraße heißt und der bis nach Rom führt. Am Rande der Poebene marschieren wir über die kleine, hübsche Stadt Fidenza bis nach Parma. Es wird immer heißer, und unsere Anführer beschließen, dass wir über Mittag eine Marschpause machen müssen, sonst kippen zu viele um.
Von Parma aus, wo Unmengen Schlegel getrockneten Schinkens als Vorrat angeschafft werden, geht es geradewegs nach Süden durch das nächste Gebirge. Das ist Gott sei Dank nicht so hoch und felsig wie die Alpen. Der Pass, dem wir auf gewundenen Pfaden folgen, heißt Cisa, und als wir drüber sind, erhasche
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