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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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ich zum ersten Mal einen Blick auf das Meer! Natürlich nur von weitem, denn die Frankenstraße führt nicht am Wasser entlang, aber es ist so schön! Das Wasser strahlt und glitzert, man kann Boote mit hellen Segeln erkennen, und gerade geht die Sonne wie ein riesiger roter Ball unter. Ich wollte, die Mutter und die Geschwister könnten das sehen! Es ist noch viel schöner und noch viel größer, als ich’s mir vorgestellt habe. Aber ich kriege auch ein bisschen Angst, weil über dieses Meer müssen wir ja noch drüber!
    Fünf Wochen sind wir jetzt schon unterwegs! Und Rom ist noch weit, sagt der Kaufmann. Meine Füße sind jedenfalls inzwischen abgehärtet und haben eine dicke Hornhaut. Und mein Gesicht ist von der Sonne verbrannt, die Nase schält sich andauernd. So kommen wir in die Stadt Lucca.
    Schlimm ist, dass jetzt immer mehr Männer krank werden. Obwohl wir die Gebiete umgehen, von denen man weiß, dass dort das Fieber haust, erwischt es immer mehr. In Viterbo werden Wagen angeschafft, auf denen die Kranken mitfahren können. Täglich sterben welche, aber manche haben auch nur einen kurzen Anfall – der Kaufmann meint, dann war es nur ein Sonnenstich – und werden wieder gesund. Die Stimmung ist nicht besonders gut, während wir am Braccianosee vorbeiziehen. Die vielen Mücken lassen uns nachts kaum schlafen.
    Und dann, dann nähern wir uns endlich Rom, der Heiligen Stadt! Wir singen und sind alle froh, als wir durch die Porta del Popolo marschieren. Alle sind wir gespannt auf den bedeutendsten Ort der Christenheit nach Jerusalem, auf die Stadt des Papstes! Aber dann kommt die Enttäuschung: Hier gibt es ja nichts außer Ruinen und Trümmerfeldern! Überall liegt alles brach, Schafe weiden zwischen Mauerresten, wildes Gesträuch wuchert auf alten Plätzen. Frühere Paläste dienen als Steinbrüche, dazwischen pflanzt man Kohl oder anderes Grünzeug. Die ganze riesige Stadt ist verfallen und verkommen, nur die vielen uralten Gemäuer lassen noch etwas von ihrer alten Pracht ahnen. Dazwischen stehen einfache Häuser, in denen die Leute wohnen. Nur um den Tiber herum gibt es große Kirchen und Paläste. Man fasst es nicht, dass der Stellvertreter Gottes hier lebt! Es heißt, er wohnt bei einer Kirche mit Namen Lateran. Jedenfalls: Wenn Jerusalem auch so ist wie Rom, na dann wird’s höchste Zeit, dass wir kommen!
     
    Das Kreuzfahrerheer teilt sich zum Lagern auf. Wir Thüringer wählen für unsere Zelte einen Platz am Tiberfluss, der mitten durch die Stadt fließt. Eine träge, graubraune Brühe, in der ein paar Fische und noch mehr Abfälle schwimmen. Ich warte, bis unsere Köche den pampigen Linsenbrei fertig haben, den wir jeden Tag bekommen, und schlinge meinen Napf voll hinunter. Ratz bekommt für seine Rattenfängerei einen Knochen und nagt zufrieden dran herum. Wir sitzen unter einem Baum ganz am Rand des Lagers und warten drauf, dass es Abend wird. Da plötzlich springt ein Kaninchen im Zickzack durch die Büsche, und Ratz natürlich auf und hinterdrein! Als er nach einer Weile nicht zurückkommt, mache ich mir Sorgen und gehe ihn suchen. Ich pfeife und rufe, aber der Hund bleibt verschwunden. Ich bin bestimmt eine halbe Meile am Ufer entlanggelaufen, als ich ihn endlich finde. Einen ganzen Kaninchenbau hat er ausgebuddelt, und zwei von den Mümmlern liegen tot daneben. Eigentlich müsste ich ihn schimpfen, aber das gibt morgen ein schönes Essen, also lobe ich ihn doch. Ich binde die Kaninchen an den Läufen zusammen, hänge sie mir über die Schulter, und dann machen wir uns hurtig auf den Rückweg, bevor es dunkel wird.
    Aber wir kommen nicht weit, denn grade, als wir um ein Uferwäldchen biegen, sehen wir ein paar zerlumpte Galgenvögel, die sich an einem Pferd zu schaffen machen, ein schönes Tier mit Kampfsattel. Das Ross wiehert, tritt und schlägt aus, und die Kerle fluchen auf Römisch. Und dann watet auch schon brüllend ein nackter Mann aus dem Fluss, offenbar ein Ritter, der gebadet hat. Unbewaffnet stürzt er sich auf den erstbesten Gauner. »Los, Ratz!«, rufe ich, ziehe mein Messer und renne hin. Ratz schießt auf einen der Kerle zu und verbeißt sich in sein Bein. Ich sehe den Kleiderhaufen des Ritters liegen mitsamt dem abgeschnallten Wehrgehenk. Bücken und dem nackten Ritter das Schwert zuwerfen ist eins. Und dann verpassen wir den Wegelagerern eine Abreibung, die sie nicht so schnell vergessen werden. Einer haut gleich ab, der andere stellt sich mir. Er fängt an zu tänzeln

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