Die Tore des Himmels
bin.«
Sie schluchzte auf, auch er weinte jetzt mit zuckenden Schultern. Manche aus dem Gefolge sahen sich peinlich berührt an. Es geziemte sich nicht, Gefühle so offen zu zeigen, für einen Fürsten schon gar nicht – wenn es überhaupt einmal vorkam, dass sich in einer adeligen Ehe Liebe einstellte. Die beiden küssten sich ein letztes Mal, ein Kuss, in dem tiefster Schmerz und Verzweiflung lagen. Dann riss Ludwig sich los, schwang sich aufs Pferd und galoppierte davon.
Elisabeth fiel auf die Knie und sah ihm mit gefalteten Händen nach, bis der Zug über der nächsten Hügelkuppe verschwand. Es war, als ahnte sie, dass dies ein Abschied für immer sein würde.
Primus
W ir marschieren und marschieren. Vorneweg ziehen alle, die beritten sind, dann kommen die Ochsen- und Pferdewagen, auf denen man Waffen, Panzer, Kettenhemden, Helme und Schilde geladen hat, auch Zelte, Verpflegung, Decken und was man sonst noch so braucht. Hinterdrein das Fußvolk. Wie ein ewig langer, dicker Wurm schlängelt sich unser Zug durch die Lande.
Inzwischen weiß ich, dass die vom Adel für die Kreuzfahrt bezahlt werden. Für ein Jahr im Dienst des Kreuzes bekommt jeder Ritter dreißig Unzen Silber, jeder Knappe zehn Unzen. Das Geld kommt zum Teil vom Kaiser und zum Teil aus der Kreuzzugssteuer, die alle Fürsten von ihren Untertanen einkassiert haben. Im Tross laufen, so munkelt man, zwanzig Maultiere mit, die das Silber für den Soldatensold schleppen. Wir vom Volk kriegen natürlich kein Geld, aber wir bekommen jeden Tag anständig zu essen. Ich habe in meinem Rucksack einen Holznapf, der morgens und abends mit einem großen Schöpfer Mus oder Brei gefüllt wird, und dazu bekommt jeder ein Brot. An den Sonntagen gibt’s manchmal ein Stück Rauchfleisch dazu. Für viele von uns ist es das erste Mal, dass wir regelmäßig zu essen bekommen und jeden Tag satt werden. Den meisten ist das allein schon die Kreuzfahrt wert.
Kaum sind wir aus Thüringen hinaus, fängt das schlechte Wetter an. Die verspätete Schafskälte, sagen die Bauern. Wir sind alle tropfnass und frieren, und unsere Laune wird täglich schlechter, auch weil viele von uns inzwischen fußkrank sind. So viel Laufen ist keiner gewohnt. Ich habe auch Blasen, aber wenn man täglich drüberpinkelt, heilen sie schnell – ein altes Hausmittel von der Mutter. Ja, wenn man ein Pferd hätte oder ein Maultier oder wenigstens ein Eselchen …
Erst ein paar Meilen vor Nürnberg hört der Regen auf, endlich können unsere Sachen trocknen. Wir lagern auf einer weiten Wiese vor den Mauern und lassen uns die Sonne auf den Bauch scheinen.
Zu Nürnberg bekommt jeder von uns eine dicke Filzweste, die vor Pfeilen schützen soll. Der Landgraf hat die Wämser dort machen lassen. Und Spieße werden auch verteilt, welche mit langen und kurzen Schäften, alle mit messerscharf geschliffenen Eisenspitzen. Darauf verstehen sich die Nürnberger Waffenschmiede, die sind ja berühmt im ganzen Land. Ich erwische nur einen kurzen Spieß, bin aber stolz drauf, dass ich jetzt überhaupt eine Wehr habe.
Von Nürnberg aus geht’s weiter in Richtung Süden. Unterwegs schließen sich immer mehr Kreuzfahrer an, und bald ist unser Zug schon doppelt so lang wie am Anfang. Vor Augsburg warten mindestens tausend weitere Kämpfer auf uns. Langsam wird die Menge so unüberschaubar, dass man aufpassen muss, seine Gruppe nicht zu verlieren, wenn man mal pinkeln oder verschnaufen muss.
Ich laufe am liebsten in der Nähe der Ritter. So prächtig sehen sie aus auf ihren Rössern mit den bunten Satteldecken, auch wenn sie natürlich unterwegs keine Rüstung tragen. Die richtigen Ritter erkennt man daran, dass sie ihr Schwert am Gürtelgehenk tragen. Die Knappen, die ja auch kämpfen, müssen ihre Schwerter an den Sattel hängen. Ach, hätt ich doch nur auch so eines, und wenn ich’s hinter mir herschleifen müsste! Außerdem dürfen die Ritter ihr Haar lang wachsen lassen, wenn’s ihnen gefällt, sogar bis über die Schultern. Die Bauern dagegen tragen ihre Haare über den Ohren geschnitten. Das ist so Herkommen. Mein Haar ist kinnlang und fällt mir tief in die Stirn, ich bin ja aus der Stadt.
Ein paar Freunde hab ich schon gefunden, einer davon ist Engelmar, der Fahrer vom fünften Getreidewagen. Er hat bestimmt, dass ich mit Ratz nachts bei den Köchen unter dem Wagen schlafen darf, weil Ratz dann die Ratten und Mäuse abhält. Alle beneiden mich um den Schlafplatz, denn da ist’s schön trocken und
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