Die Tore des Himmels
windgeschützt.
Nach Augsburg ziehen wir weiter, immer aufs Gebirge zu. Wir haben Gewitter. Richtig bedrohlich sehen die Berge von der Ferne aus, mit den dicken schwarzen Wolkenbanken, die über ihnen hängen. Man fragt sich, wie das erst sein wird, wenn wir die Steinriesen erreicht haben? Und wie sollen wir da bloß drüberkommen? Aber zunächst bleiben wir im Tal und ziehen den Fluss Inn entlang. Da habe ich Zeit, mich an die himmelhohen Felsen zu gewöhnen. Und dann erreichen wir das winzige Kaff Matrei. »Jetzt geht’s los«, sagt Engelmar und schnauft gottergeben. Da, wo bis jetzt noch Pferde vor den Karren waren, kommen Ochsen hin, und unser ganzer Zug wird in vier Abteilungen aufgeteilt. Jede Abteilung bekommt einen einheimischen Rodmann zugeteilt, der sie über den Brennerpass führen soll. Unserer ist ein ganz kleiner Bärtiger, der hat lederne Beinlinge an und eine Nase bis zum Kinn, aus der lange graue Haare wachsen. Wenn er den Mund aufmacht, redet er so merkwürdig, dass ihn keiner versteht, aber wir müssen ihm ja auch nur nachlaufen.
Unsere Abteilung ist die dritte, zum Glück, denn dadurch ist der Saumpfad schon richtig schön ausgetreten. Es geht steil nach oben, und so mancher von den Älteren muss kämpfen, um Schritt zu halten. Gott sei Dank können wir zwischendurch öfters langsam machen oder sogar stehen bleiben, weil der Zug ins Stocken kommt. Dann steckt ein Wagen fest, oder ein Rad ist gebrochen. Aber zu lange dürfen wir nicht brauchen, denn wir müssen ja noch bei Tageslicht auf der anderen Seite des Bergkamms sein. Ich kann mich gar nicht sattsehen an den steilen Gipfeln. Obwohl sie heute Gott sei Dank in schönstem Sonnenschein liegen, kommen sie mir doch immer noch unheimlich vor. Und ich hab immer geglaubt, der Große Inselberg sei schon ganz schön hoch! Hach, dabei ist der bloß ein Hügel! Das werde ich denen daheim schon sagen, wenn ich zurückkomme!
Endlich erreichen wir mittags den höchsten Punkt des Passes, an dem ein hübscher kleiner See liegt. Er gibt eine kurze Rast; die Tiere können saufen und wir kriegen jeder einen Brotfladen – zu Innsbruck haben wir als Spende der Bürgerschaft einen neuen Wagen bekommen, der mit frisch gebackenem Brot für den Alpenübergang beladen war. Das Brot ist allerdings steinhart und staubtrocken, man muss es in Wasser oder Bier eintunken, um es überhaupt beißen zu können. Na ja, Hauptsache es macht satt.
Dann geht es abwärts, aber wir sind deswegen beileibe nicht schneller. Die Zugtiere tun sich nämlich abwärts schwerer. Also laufen wir gemächlich über den steinigen Pfad. Ein alter Kaufmann, der als einfacher Pilger bei uns mitgeht, erzählt, dass er den Brennerpass schon einmal im Winter überqueren musste. »Eine eisige Hölle«, erzählt er, »da gibt’s schon mal Tote, oder Ochs und Wagen stürzen ab.« Mir graut es, und ich bin verdammt froh, dass Sommer ist!
Kurz vor Sonnenuntergang sind wir schließlich wieder im Tal. Übernachtet wird beim Ort Sterzing, wo wir auch wieder auf die beiden ersten Abteilungen treffen. Wir sind so müde, dass wir grade noch unser Abendessen – Gemüsebrei, Speck und Brot – hinunterschlingen, bevor wir alle in tiefen Schlaf fallen. Das Schlimmste, hat der Kaufmann gesagt, ist jetzt geschafft!
Auf der Südseite der Alpen ist es spürbar wärmer. Wir rollen unsere Decken und Mäntel zusammen, binden sie fest und tragen sie auf dem Rücken. Eine ganze Zeit geht es jetzt stetig abwärts. Die Stimmung unter den Leuten ist gut, wir singen fast den ganzen Tag Lieder, mal fromm, mal weniger fromm. Na ja, meistens eigentlich ziemlich unfromm, aber der liebe Gott wird’s uns schon nachsehen. Schließlich befreien wir das Heilige Grab, da kann er doch froh sein.
Die Menschen, denen wir begegnen, sprechen eine andere Sprache und reden so schnell, dass einem fast schwindlig davon wird. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, und sie verkaufen uns gerne Vorräte. Unsere Gruppe ist einem Anführer zugeordnet, der regelmäßig vom landgräflichen Schatzmeister Geld bekommt, um Essen zuzukaufen. So bekommen wir oft frische Sachen als Beikost. Die meisten von uns rümpfen allerdings die Nase, weil sie die fremden Fressalien nicht kennen. Am wenigsten können wir das grüne Baumöl leiden, das einen ganz widerlichen Geschmack hat. Aber der Kaufmann meint, wir gewöhnen uns schon noch dran, und der Herr Jesus hat auch keine Butter und kein Schmalz gekriegt. Ich jedenfalls stopfe in mich
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