Die Tore des Himmels
Isentrud.
Sie schüttelte den Kopf. »Die Ohrenbeichte ist heilig, kein Dritter darf dabei stören.«
Ich sah, wie ihre Hände zitterten. »Dann warten wir wenigstens vor der Kapelle auf dich«, beharrte ich.
Das taten wir dann auch. Sie blieb lange darin. Viel zu lange. Durch die dicken Mauern und das massive Holzportal war nichts zu hören. Keine Stimmen. Kein Weinen. Kein Schelten. Nichts.
Endlich, es war längst dunkel geworden, stürmte Konrad von Marburg mit großen Schritten aus der Kapelle. Aus seinen unstet flackernden Augen sah er uns voller Verachtung an und stapfte dann wortlos an uns vorbei zum Palas. Wir betraten das Kirchlein; ganz vorn in der Apsis, gleich vor dem Altar, kniete Elisabeth mit gefalteten Händen. Ihr Gesicht war weiß wie die Wand, und ihre Lippen zitterten.
»Komm«, sagte Guda leise zu ihr. »Lass uns gehen.«
Wir halfen ihr hoch, denn sie hatte mit ihrem dicken Bauch Mühe aufzustehen. Doch dann schüttelte sie unsere Hände ab. Gebeugt wie eine alte Frau, so als trüge sie eine schwere Last, verließ sie die Peterskapelle. Den ganzen restlichen Abend über sprach sie kein Wort, saß nur da und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Ohne eine Regung ließ sie zu, dass wir ihr Haar kämmten und flochten, sie auszogen und zu Bett brachten.
Sie teilte ihr Lager mit Guda und ich meines mit Isentrud, darum merkte ich zu spät, dass sie nicht mehr da war. Irgendein Geräusch hatte mich geweckt, vielleicht war es auch die Unruhe, jedenfalls legte ich meinen Nachtschal über, schlug leise Feuer für eine Kerze und ging sie suchen.
Ich fand sie in der Kapelle. Die Tür war nur angelehnt, und drinnen flackerte ein Talglicht. Vorsichtig spähte ich hinein und konnte kaum einen Aufschrei unterdrücken. Da kniete sie mit aufgelöstem Haar, das Hemd hatte sie vom Oberkörper gestreift. Ich sah die blutigen Striemen auf ihrem Rücken und die Geißel in ihrer Hand. »Ich bin böse, ich bin böse, ich bin böse«, keuchte sie, und mit jedem Satz klatschten die Lederriemen der Geißel auf ihren Rücken. »Ich bin ein Nichts, weniger als ein Nichts, ein Gefäß der Sünde, ein eitler Mensch, das geringste Ding unter dem Himmel.« Klatsch, klatsch, klatsch, klatsch. Sie krümmte sich vor Schmerz, ihre Haut platzte auf, kleine Tröpfchen Blut sprühten um sie, wenn sie die Geißel schwang. »Ich bin eine schlechte Frau, ich bin hoffärtig, ungehorsam. Strafe mich Herr, für alles, was ich getan habe.« Sie schluchzte. »Ich bin schlechter als der schlimmste Verbrecher, schlechter als ein Mörder, ein Räuber, ein Totschläger. Ich bin schlechter als ein Tier. Ein Behältnis für Schmutz und Dreck. Ich bin nichts wert, o Herr, strafe mich.« Das Blut rann in Strömen ihren Rücken hinunter, und immer noch schwang sie die Geißel. Ich weiß nicht, wie lange ich stand und zusah, ich war so entsetzt, dass ich unfähig war, mich zu bewegen. Und dann sah ich noch jemanden, verborgen im Dunkel, in einer Nische hinter dem Altar.
Er
war es. Seine Augen hatten sich an ihren Brüsten festgesaugt, an ihrem nackten, schwangeren Leib. Ich bekam plötzlich keine Luft mehr. Endlich löste ich mich aus meiner Starre, rannte zu Elisabeth und riss ihr das blutige Folterinstrument aus der Hand. »Was tust du?«, schrie ich. »Willst du dich umbringen? Und das Kind dazu?« Schwer atmend stand ich über ihr, während sie vollends in sich zusammensank. Sie krümmte sich auf den steinernen Fliesen, von lautlosen Schluchzern geschüttelt.
Ich kniete mich neben sie. »Elisabeth«, beschwor ich sie, »Elisabeth, komm doch zu dir.«
Sie sah durch mich hindurch. Und als ich hochblickte, war der Mann hinter dem Altar fort.
Ich flog durch die Kapelle, über den Hof und ins Frauenzimmer, rüttelte Guda und Isentrud wach. Mit vereinten Kräften hoben wir sie hoch, schleiften sie mehr, als dass wir sie trugen, in die Kemenate zurück und legten sie seitlich aufs Bett. Sie wehrte sich nicht, als wir ihre Wunden mit Wein wuschen, aber sie stöhnte jämmerlich. O Jesus, betete ich stumm, mach, dass sich der Rücken nicht entzündet, dass sie kein Fieber bekommt. Es sind nur noch zwei Wochen bis zur Niederkunft, bitte hilf, damit das Kind keinen Schaden nimmt. Und dann hörte ich vom Bett einen lauten Schrei.
Die Wehen hatten eingesetzt.
Wir taten, was wir konnten. Wir hielten sie so, dass ihr Rücken nirgends anstieß. Wir halfen ihr beim richtigen Atmen. Wir sprachen ihr Mut zu, aber sie nahm uns kaum wahr. Sie war
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