Die Tore des Himmels
diesem Augenblick näherte sich ein kleines Grüppchen dick eingemummter Gestalten dem Marktplatz. Und aus dem Grüppchen schoss ein wolliges, schwarz-weißes Etwas auf mich zu und sprang kläffend an mir hoch: Fitz.
»Jesusmariaundjosef«, entfuhr es mir. Da kam Isentrud, die kleine Gertrud auf dem Arm, gefolgt von Hermann, Sophie und der Amme.
»Heinrich Raspe schickt dir die Kinder«, sagte Isentrud zu Elisabeth. Ihr Atem bildete kleine, weiße Wölkchen vor ihrem Gesicht. »Er lässt dir ausrichten, wenn du schon gehst, sollst du deine Brut gefälligst mitnehmen.«
Die beiden Kleinen rissen sich von der Amme los und rannten in die ausgebreiteten Arme ihrer Mutter.
Fast hätte ich laut aufgelacht. Ja, das war Heinrich! Fürwahr, ein geschickter Schachzug! Jetzt blieb Elisabeth gar nichts anderes übrig, als wieder in die Burg zurückzukehren. Sie würde sich vor ihm erniedrigen müssen, ihn bitten müssen, sie wieder aufzunehmen – und er würde das selbstverständlich tun. Zu seinen Bedingungen. »Kommt«, seufzte ich, »lasst uns wieder hinaufgehen. Damit das Spiel ein Ende hat.«
Elisabeth fuhr hoch. »Ein Spiel nennst du das? O nein, Gisa, das ist Ernst. Mein bitterer Ernst. Ich jedenfalls werde hierbleiben, mit Gottes Hilfe.«
Ich wollte es nicht glauben. »Elisabeth, du kannst doch nicht die Kinder mit in die Armut zwingen! Gertrud ist kaum drei Monate alt! Sollen die Kleinen mit dir hungern? Mit dir auf Speichern oder unter Treppen schlafen? Soll der zukünftige Landgraf mit dir betteln gehen?« Ich zeigte auf Hermann. »Bei allen Heiligen, sei doch vernünftig!«
Die anderen nickten. »Schau, wie sie jetzt schon frieren«, meinte Isentrud.
Als Antwort nahm Elisabeth ihren Mantel ab und legte ihn den beiden Kleinen um. Trotzig blickte sie uns an. »Wenn ich wählen muss zwischen der Gewalt meines Schwagers und dem Willen des Allmächtigen, dann weiß ich, wie ich mich entscheide. Und was ist mit euch?«
Ich wusste nicht mehr, wie ich ihr Verhalten deuten sollte. War es einfach Sturheit, Verbissenheit, Glaubensverblendung? Oder gab ihr Jesus diese Kraft? »Wer bist du?«, schrie ich sie an. »Bist du einfach nur ein trotziges Weib, oder lenkt dich ein himmlischer Geist? Bist du irre, wie die Bettler glauben, oder hat Gott dich erleuchtet? Ich kenne dich nicht mehr!«
Sie breitete die Arme aus. »Schau mich doch an, Gisa«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich bin deine Schwester. Diejenige, der du geschworen hast, sie nie zu verlassen. Vertrau mir!«
»Du stellst meine Treue auf eine harte Probe«, entgegnete ich.
Sie nickte. »So ist es wohl.«
Ich fühlte mich so zerrissen. Himmel, was geschah hier mit mir? Innerhalb von ein paar Stunden hatte sich mein Leben völlig verändert. Immer hatte ich es gut gehabt, hatte im Überfluss gelebt, mir nie um etwas Sorgen machen müssen. Sollte ich jetzt alles hinter mir lassen und mit Elisabeth ins Ungewisse gehen? Oder sollte ich auf die Burg zurückkehren? Hatte ich überhaupt noch eine Wahl? Würde Heinrich Raspe mich wieder aufnehmen, ausgerechnet mich, nach allem, was zwischen uns gewesen war? Und was würde ich dann sein, wenn nicht mehr die Zofe der Landgräfin? Lange hatte ich geglaubt, einen Platz zu haben, an den ich gehörte. Wo ich daheim war. Und jetzt fiel es mir mit einem Mal wie Schuppen von den Augen: Dieser Platz war kein Ort, keine Burg, kein Haus, keine Stube. Elisabeth – sie war mein Platz, war es immer gewesen. Ich gehörte zu ihr, ganz gleich, wo sie hinging oder was sie tat.
Ich schämte mich, dass ich überhaupt daran gedacht hatte, sie alleine zu lassen. »Kommt«, sagte ich und nahm den kleinen Hermann bei der Hand, »wir müssen eine Bleibe finden.«
Zuerst fragten wir im Rathaus. Der Schultheiß war ein anständiger Mann, den wir seit vielen Jahren kannten, er würde uns sicherlich helfen. Doch er winkte schon ab, als wir seine Amtsstube betraten. Ein Bote sei vom neuen Landgrafen gekommen, sagte er, der habe ihm bei Androhung von Leibstrafe verboten, uns eine Unterkunft zu beschaffen. Er dürfe uns auch sonst nichts geben. Auch die Pfarrer, so wüsste er, hätten dieselbe Botschaft erhalten, der Stadtadel und die Wirtshäuser.
Also blieb uns nichts weiter übrig, als loszuziehen und an die Türen der Leute zu klopfen. Inzwischen hatte sich überall herumgesprochen, dass wir wohl aus der Burg vertrieben worden waren. Kaum einer öffnete uns, und die wenigen, die es taten, weigerten sich, uns aufzunehmen. »Ihr
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