Die Tore des Himmels
erklärende Gesten. Ritter Raimund runzelt die Brauen, fragt, deutet auf mich. Sie nickt wieder, er stellt noch mehr Fragen. Irgendwann senkt sie den Kopf. Als sie wieder aufschaut, stehen Tränen in ihren Augen.
»Was sagt sie, Herr?«, will ich wissen. »Wer hat ihr das angetan?«
»Ischkander«, antwortet er. »Er hat euer kleines Techtelmechtel bemerkt. Wenn ich sie richtig verstehe, hat er sie verprügelt und eingesperrt. Offenbar ist sie entwischt und hat uns im Hafen gesucht. Sie hat beobachtet, wie wir uns eingeschifft haben, und sich anschließend an Bord geschlichen und versteckt. Und jetzt, mein Lieber, hast du sie am Hals.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. »Und was machen wir jetzt?«
Ritter Raimund breitet die Arme aus. »Wir nehmen sie mit, was sonst? Das Schiff wird ihretwegen wohl kaum umkehren. Du wirst dich um sie kümmern müssen.« Er lacht und verpasst mir eine Kopfnuss. »So schnell kommt man zu einem Weib, mein Freund. Offensichtlich liebt sie dich.«
Ich bin zu allem bereit. »Ich will sie auch gern zur Frau nehmen, Herr. Ich liebe sie ja auch.«
Mein Herr wird wieder ernst. »Nur, um Missverständnissen vorzubeugen: Dir ist hoffentlich klar, Junge, dass du nicht der Erste bist?«
»Wie?« Ich verstehe nicht. Oder will nicht verstehen.
»Der Töpfer.«
Ich schlucke und balle die Fäuste. Das Schwein!
»Sie konnte sich wohl kaum gegen ihn wehren. Du siehst ja, was er ihr angetan hat.«
Ich nicke. Natürlich.
»Willst du sie trotzdem noch?«
Ich sehe Miriam an, wie klein und verloren sie da steht, das geschundene Gesicht mir zugewandt. Aus ihren Augen lese ich Angst. Und Liebe. O Gott, es ist mir völlig gleich, ob sie vor mir mit Ischkander oder sonstwem zusammen war. Vorsichtig lege ich den Arm um sie, um ihr nicht weh zu tun. Sie lehnt ihren Kopf sacht an meine Schulter, und ich sehe meinen Herrn trotzig an.
»Verstehe.« Ritter Raimund nickt. »Na dann, viel Glück, ihr beiden.«
Gisa
» W ir brauchen einen ordentlichen Platz zum Schlafen!« Guda nahm mir das Wort aus dem Mund. Nach dem Te Deum standen wir zu dritt vor dem Michelskirchlein, und guter Rat war teuer.
»Gehen wir zum Hellgrevenhof«, schlug ich vor, obwohl ich schon ahnte, was kommen würde. Und natürlich, Elisabeth weigerte sich.
»Vielleicht kann uns der Schultheiß ein Quartier zuweisen«, überlegte ich. »So eines, wo man die Armen unterbringt«, beschwichtigte ich Elisabeth.
Also gingen wir im bitteren Morgenfrost zum Rathaus. Die beißende Kälte ließ mich meine Füße schon nach ein paar Schritten nicht mehr spüren, und auch Guda zitterte am ganzen Körper. Nur Elisabeth schien die Kälte nichts auszumachen. Als wir an der Georgskirche vorbeikamen, sah sie schon die ersten Bettler vor dem Portal kauern und ging zu ihnen. »Ihr guten Leute«, sprach sie die zerlumpten Gestalten an, »wisst ihr einen Platz, wo drei Frauen unterkommen können?«
Die Bettler sahen sie misstrauisch an. Ich kannte etliche von ihnen, zwei Schemeler, die wir schon im Hospital gepflegt hatten, ein blindes Weib und einen alten Mann mit verstümmelten Armen. »Seid Ihr nicht die Landgräfin?«, fragte einer.
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Ich war die Landgräfin«, erwiderte sie. »Jetzt will ich eine von euch sein.«
Einer der Handgänger hob den Kopf. »Warum solltet Ihr wohl so sein wollen wie wir? Seid Ihr irre?«
Elisabeth runzelte die Brauen. »Ich möchte in Demut auf all meinen Reichtum verzichten, um Gott zu gefallen«, sagte sie.
»Heißt das, Ihr wollt uns keine Almosen mehr geben?«, fragte die Blinde.
»Ich fürchte, das kann ich nun nicht mehr, ja.« Elisabeth wurde unsicher. »Ab heute muss auch ich um mein Brot bitten.«
Ein Raunen ging durch den Haufen. Der alte Krüppel knurrte böse. »Es gibt schon nicht genug für uns«, sagte er mit heiserer Stimme, »wir brauchen hier niemand, der uns unser Essen wegnimmt.«
Elisabeth versuchte zu beschwichtigen. »Aber ich will euch doch nichts wegnehmen …«
»Geht wieder zurück in Eure warme Kemenate, Frau Landgräfin. Da habt Ihr’s schön gemütlich, und hungern müsst Ihr auch nicht.«
Das war die einbeinige Margret mit der Kopfräude. Elisabeth hatte der Alten noch vor zwei Wochen den nässenden Schädel mit Salbe bestrichen.
Die anderen pflichteten Margret bei. »Lasst uns unser Brot«, schrie einer. »Wir wollen nicht mit noch jemandem teilen.«
»Ja, geht wieder zurück!«
»Packt euch!«
»Verschwindet!«
Ein Stein flog.
In
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