Die Tore des Himmels
müsst verstehen«, sagten sie, »wir wagen es nicht, uns den Unmut des Landgrafen zuziehen.«
Sie hatten ja recht. Wir verstanden das sehr gut.
Mittlerweile war es Nachmittag. Die Kinder quengelten. »Ich hab Hunger«, jammerte Sophie, »und meine Füße sind so kalt. Ich will wieder heim.«
»Nur noch ein bisschen«, tröstete Elisabeth, »es dauert nicht mehr lang.«
Wir gingen weiter von Haus zu Haus, umsonst. Die kleine Gertrud begann zu brüllen und hörte nicht mehr auf. Es begann, wieder stärker zu schneien. Bald würde es dunkel werden, und was konnten wir dann tun? Auch Sophie weinte jetzt, während Guda Hermann und Fitz mit Schneeballwerfen beschäftigte. Wir waren alle erschöpft, hungrig und durchgefroren. Lange konnte das nicht mehr so weitergehen. Noch eine Nacht bei den Franziskanern? Mit den Kindern auf dem nackten Steinboden der Kirche? Da schoss mir auf einmal ein Gedanke durch den Kopf. »Ich weiß, wo wir vielleicht hinkönnen!«, rief ich. Und stapfte schon voran durch die verschneiten Gassen.
Schließlich standen wir vor dem Wirtshaus zum »Wilden Mann«. In den letzten Monaten war ich mehrere Male hier gewesen, um das Versprechen einzulösen, das ich Primus zu Schmalkalden gegeben hatte. Geld hatte ich gebracht, ein paar Ellen Stoff für Kleidung, manchmal etwas zu essen. Mechtel hatte bald nach Abreise der Kreuzfahrer entdeckt, dass sie wieder schwanger war, und so hatte ich ihr auch noch Heilkräuter gegen Wasser in den Beinen und später für gute Milchbildung gebracht. Als das Kind auf der Welt war, ein Söhnchen, bezahlte ich die Taufe und übernahm das Patenamt. Mechtel hatte sich überglücklich gezeigt. Vielleicht konnte sie uns jetzt wenigstens für kurze Zeit unterbringen.
Ich führte die anderen ums Haus herum in den Hof und klopfte an die Tür des Schweinestalls. Irmel öffnete, zerlumpt und schmutzig wie immer, aber als sie mich erkannte, strahlten ihre Augen. »Mama!«, schrie sie, »Jungfer Gislind ist wieder da!«
Primus’ Mutter kam, einen schlafenden Säugling im Arm. Sie hatte den Kleinen erst vor einigen Wochen auf die Welt gebracht, den Vater wollte sie nicht nennen, oder vielleicht wusste sie auch nicht, wer. »Gott grüß Euch«, sagte sie, doch ihr Lächeln erstarb, als sie die anderen sah, die sich hinter mir zusammendrängten.
»Mechtel«, sagte ich, »heute brauch ich einmal deine Hilfe. Wir suchen eine Bleibe für die Nacht.«
»Wer ist das, die Ihr da bei Euch habt?«, fragte sie misstrauisch.
»Die Landgräfin, ihre Zofen und ihre drei Kinder. Und die Amme. Wir können nicht auf die Burg zurück.«
Mechtel sah mich ungläubig an. »Du lieber Gott. Warum geht ihr nicht zum Hellgreven oder zu den reichen Leuten?«
»Der neue Landgraf hat’s verboten.«
»Aber wir haben doch kaum selber Platz hier drin«, erwiderte Mechtel. »Und Essen ist auch nicht da.«
»Essen für alle können wir besorgen«, sagte ich. »Wir haben noch ein bisschen Geld. Und wir rücken ganz eng zusammen. Ich bitt dich, Mechtel, ich würde nicht fragen, wenn wir eine Wahl hätten.«
Sie sah die anderen an, warf dann einen Blick über die Schulter in ihre elende Behausung. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Ich schäme mich«, flüsterte sie. »Wir haben Läuse und Flöhe, es stinkt, es ist modrig und kalt. Nachts kommen die Ratten. Niemand kann hier freiwillig bleiben wollen.«
»Mechtel«, sagte da Elisabeth und schlug ihren Schleier zurück. »Die Kinder erfrieren uns draußen. Lass uns ein, Gott wird’s dir vergelten.«
Mechtel tat einen tiefen Atemzug. Dann öffnete sie ihre Tür weit. »Kommt herein«, sagte sie, »um Gottes willen. Und seid willkommen.«
An diesem Abend ging es uns gut. Isentrud erzählte den Kindern, wir spielten jetzt alle zusammen »arme Leute«, worauf Hermann und Sophie Hunger und Kälte vergaßen und begeistert mitmachten. Ich gab Ida Geld und schickte sie und Hannolein Essen holen. Wir brauchten jetzt etwas Ordentliches in den Magen. Die beiden kamen mit Krautsköpfen, Würsten, Brot und Schmalz zurück, Mechtel schürte das Feuer hoch und machte sich ans Kochen. Derweil hatten Guda und ich vom Wirt des »Wilden Mannes« Stroh, Decken und alte Säcke besorgt und richteten uns ein notdürftiges Lager. Im trüben Licht eines Talglämpchens aßen wir gemeinsam den Eintopf, den Mechtel zubereitet hatte. Dann legten wir uns in der zugigen Ecke hinter der Tür schlafen. »Siehst du, der liebe Gott hat heute Abend schon für uns gesorgt«,
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