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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sagte sie. Ohne weitere Worte legte sie sich auf den Bettsack und drehte das Gesicht zur Wand.
     
    Am nächsten Tag sandte Gisa eine Botschaft an die Brüder Vargula.

Otranto, Februar 1228
    D as Schiff, mit dem die Thüringer Kreuzfahrer nach Hause segelten, näherte sich dem Hafen von Otranto. Die Überfahrt war nicht einfach gewesen. Nun aber war das Meer überwunden, und der zweite Abschnitt der Heimreise konnte bald beginnen.
    Raimund von Kaulberg stand an der Reling und beobachtete die Schiffsleute bei ihren letzten Vorbereitungen für die Einfahrt ins Hafenbecken. Er schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel dafür, dass alles gutgegangen war. Aber richtige Freude konnte er nicht empfinden. In den letzten Wochen hatte er viel zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Er fühlte sich bedrückt. Der Kreuzzug war ein kompletter Fehlschlag gewesen, ein Trauerspiel, nicht nur für die gesamte christliche Ritterschaft, die voller Zuversicht ausgezogen war, Jerusalem zu befreien. Sondern vor allem für die Thüringer, die ihren hoffnungsfrohen jungen Landgrafen viel zu früh verloren hatten. Und noch mehr für ihn, dem mit Ludwig auch ein guter Freund gestorben war. Alles umsonst. Gott war ihnen nicht gnädig gewesen. Raimund fühlte sich müde und ausgelaugt. Er war Mitte der Vierzig und spürte zum ersten Mal im Leben das Alter kommen. Ein Gefühl, das sich jedes Mal verstärkte, wenn er den jungen Primus ansah.
    Mein Sohn könnte er sein, dachte Raimund wehmütig. Ja, solch einen Sohn hatte er sich immer gewünscht – klug, mit schneller Auffassungsgabe, eine gehörige Portion Mutterwitz und das Herz am rechten Fleck. Wäre Primus als Kind von Adel auf die Welt gekommen, wäre er längst Knappe, es stünde ihm bald die Schwertleite bevor. Oder man hätte in angesichts seines guten Verstandes für die geistliche Laufbahn bestimmt. Er hätte es weit bringen können. So aber hatte er noch verdammt viel Glück gehabt, wenigstens der Pferdeknecht eines Ritters geworden zu sein. Das war weit mehr, als einer wie er sich je hätte erträumen können.
    Und er selber, Raimund von Kaulberg? Ja, die Welt hatte er gesehen! Das Welschland, das Heilige Land, Rom, Akko, Damietta! Und Glück hatte er auch gehabt, überhaupt noch am Leben zu sein, wenn er nur an seine Verletzung in Ägypten dachte. Aber auch das Unglück hatte ihn nicht verschont, weiß Gott. Wie anders wäre sein Leben verlaufen, hätte seine Ehe nicht ein so furchtbares Ende genommen. Ein beschauliches Leben als Vogt oder Burggraf hätte er führen können, sorgenfrei, mit einer liebreizenden Frau und einem ganzen Sack voller Kinder. Oh, dies alles war einmal sein großer Traum gewesen. Und nun?
    Er hatte es sich lange nicht eingestehen wollen, aber inzwischen fühlte er es so stark, dass es nicht mehr zu unterdrücken war: Er war einsam. Irgendwann würde er alt und grau sein, und niemand wäre da. Mit ihm würde die Linie der jüngeren Kaulberger zu Ende gehen.
    Raimund warf einen Blick hinüber zum Hauptmast, wo Primus und sein Mädchen standen. Der Junge hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, und die hübsche Kleine schmiegte sich an ihn. Ja, die Liebe konnte so schön sein! Raimund spürte dem Gefühl nach, das er beim Anblick der beiden empfand. Wie lange war es her, dass er so verliebt war? Es kam ihm vor, als sei das in einem anderen Leben gewesen. Eilika, dachte er, meine stolze, schöne Eilika. Überglücklich war er gewesen, damals, als er geglaubt hatte, sie würde für immer ihm gehören! Manchmal hatte er nichts anderes denken können als ihren Namen, keinen anderen Wunsch gehabt, als bei ihr zu sein. Und dann? War alles zerbrochen wie Glas. Raimund schloss die Augen. Nein, die Erinnerung tat nicht mehr wirklich weh. Es war so lange her, und diese Frau hatte seinen Schmerz nicht verdient.
    Doch was ihn schmerzte, was ihn traurig und müde machte, war die Erkenntnis, dass es in seinem Leben seither keine Liebe mehr gab. Er war zum Einzelgänger geworden. Oh, hier und da eine Frau – ein kurzes Vergnügen, die schnelle Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen. Und dann? Er hatte keine mehr getroffen, die ihn tiefer berührt hätte. Und wenn er ehrlich war, dann hatte er beinahe Angst davor. Was, wenn er wieder verlassen würde oder betrogen? Würde er wieder die Beherrschung verlieren? Könnte er ein zweites Mal ertragen, was Eilika ihm angetan hatte? Nein, hatte er sich oft gesagt, nie wieder werde ich mein Innerstes preisgeben, werde schwach

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