Die Tore des Himmels
am Ende sein würden.
Und dann kam Elisabeth eines Tages vom Markt nach Hause – barfuß! Sie hatte ihre Schuhe gegen Essensvorräte eingetauscht. »Ihr sollt doch um meinetwegen nicht verhungern«, krächzte sie heiser, »ich kann auch ohne Schuhe sein, das macht mir nichts aus. Viele können sich keine Schuhe kaufen.«
Es stimmte schon; die meisten Armen umwickelten ihre Füße lediglich mit Lumpen, auch Mechtel und ihre Kinder. Aber sie waren durch die Gewohnheit abgehärtet und Elisabeth nicht. Sie bekam Husten; es wurde immer ärger, und dann kamen auch noch Gliederschmerzen dazu. Eigentlich hätte sie im Bett bleiben müssen, dem einzigen Ort, wo es einigermaßen warm war, aber als die Glocke der Georgskirche zur Sonntagsmesse läutete, hielt sie trotz ihrer Erschöpfung nichts, sie musste hin. Seufzend nahmen Isentrud und ich sie in die Mitte und gingen mit ihr zum Gottesdienst.
Schon bei der Wandlung spürte ich, dass etwas nicht so war wie sonst. Elisabeth kniete da und blickte hingebungsvoll auf die Hostie, die der Pfarrer hochhielt. Ein merkwürdiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, und gleichzeitig rollten zwei große Tränen über ihre Wangen. Als die Gemeinde sich nach der Wandlung wieder erhob, blieb sie als Einzige auf den Knien, es schien, als ob sie um sich herum nichts mehr wahrnähme. Völlig versunken war sie. Wir mussten sie fest an der Schulter rütteln, damit sie am Schluss aufstand und mit uns die Kirche verließ.
Als wir vor dem Portal standen, schüttelte sie unsere Hände ab. »Lasst nur, ich kann alleine gehen«, meinte sie und tat ein paar Schritte. Plötzlich wurde ihre Haltung unsicher, sie wankte, die Knie knickten unter ihr weg. Noch bevor wir ihr zu Hilfe eilen konnten, schlug sie hart aufs Pflaster. Mir blieb fast das Herz stehen.
Wir stürzten sofort zu Elisabeth; Isentrud nahm ihren Kopf in den Schoß und nestelte ihr Kleid am Hals auf. Ich versuchte derweil festzustellen, ob sie sich verletzt hatte. Gott sei Dank schien dem nicht so zu sein, und sie war auch bei Bewusstsein. »Bringt mich heim«, flüsterte sie schwach und richtete sich halb auf. Wir stützten sie beim Aufstehen, so gut wir konnten, aber da trat auch schon ein kräftiger junger Mann herzu, der alles beobachtet hatte. »Wohin?«, fragte er knapp. »In die Hengersgasse«, sagte ich. Da hob er Elisabeth kurzerhand hoch und trug sie wie ein Kind auf seinen Armen heim.
Wir packten sie sofort ins Bett. »Du musst etwas essen«, sagte Isentrud und setzte sich mit einem Napf Hirsemus neben Elisabeth. Folgsam ließ sie sich füttern, aber sie brachte kaum zwei, drei Mundvoll hinunter. Dann sank ihr Kopf zurück und sie sagte: »Mir ist so wunderlich.«
Ich legte ihr die Hand auf die Wange. »Du glühst ja«, stellte ich erschrocken fest. Sofort ging ich los, um vom Brunnen kaltes Wasser für einen Wickel zu holen. Als ich zurückkam, stand auf Elisabeths Stirn schon der Fieberschweiß, und sie hatte Schüttelfrost. Ihr Blick schweifte zu dem Fensterloch, als ob sie draußen etwas sehen könnte, und plötzlich lächelte sie wieder so merkwürdig wie vorher in der Kirche. Dann schloss sie die Augen, und Tränen quollen unter ihren Wimpern hervor. Sie murmelte Worte, die wir nicht verstehen konnten. Es war ganz eigenartig, aber als ich mit dem nassen Lumpen für den kalten Wickel vor ihr stand, brachte ich es nicht fertig, sie anzufassen oder sonst irgendwie zu stören. Ich sah Isentrud an und sie mich. Beide spürten wir, dass irgendetwas mit Elisabeth geschah. So blieben wir, obwohl wir wegen des hohen Fiebers Angst um sie hatten, eine Weile und sahen zu, wie sie abwechselnd lachte und weinte.
Plötzlich richtete sie sich mühsam auf und sagte laut und klar die Worte: »Lieber, süßer Herr Jesus, wenn du mit mir sein willst, so will auch ich mit dir sein, und niemals mehr soll uns etwas trennen.«
Dann sank sie auf das Lager zurück und schlief ein. Endlich konnte ich ihr den Wickel anlegen, um das Fieber zu senken.
Als sie Stunden später erwachte, ging es ihr ein wenig besser. Wir setzten uns zu ihr, und Isentrud fragte: »Du hast im Traum gesprochen, Liebes. Erinnerst du dich?«
Elisabeth nickte. »Es war kein Traum«, erwiderte sie und horchte ihren Worten nach, als sei sie selber darüber verwundert.
»Was dann?«, wollte ich wissen. »Mit wem hast du geredet?«
Sie gab keine Antwort, lag nur da.
Mechtel und ihre Kinder waren inzwischen heimgekommen und gesellten sich ebenfalls zu uns. »Was hast
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