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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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geprügelt hatte. Seine schöne, hohe Singstimme. Die lustigen Fältchen in seinen Augenwinkeln, wenn er lachte. Und die sichtbare Liebe, die er für seine Frau empfand, Elisabeth. Was für ein Unglück, dass dieser Mensch so jung hatte sterben müssen. Manchmal war es schwer, Gottes Ratschlüsse zu verstehen.
    Vater Berthold schlug die beiden wachsgetränkten Tücher zurück, in die der Landgraf vor seiner Beisetzung eingewickelt worden war. Raimund schluckte. Und dann zwang er sich hinzusehen. Dort im Sarg lag ein aufgedunsenes, schwärzliches Etwas, das einmal Ludwig gewesen war. Die Gärung hatte das Körperinnere schon zersetzt, die Leiche lag in einer widerlich grünlichen Flüssigkeit. Dort, wo die Haut ins Dunkelgrüne verfärbt und aufgeplatzt war, wimmelten winzige Würmer. Die über der Brust gefalteten Hände des Landgrafen hatten sich voneinander gelöst, ein Arm war zur Seite gefallen. Seine Lippen hatten sich geöffnet und zurückgezogen, es sah aus, als ob Ludwig die Zähne fletschte. Nur das Haar war so blond und lockig wie im Leben, es schien das Einzige zu sein, dem der Tod nichts hatte anhaben können.
    Raimund schloss die Augen. Er wollte nicht, dass sich dieser Anblick in seiner Erinnerung festsetzte, er wollte an Ludwig denken so, wie er im Leben gewesen war.
    Dennoch blieb er und sah mit an, wie die Männer Ludwigs Leichnam aus dem Sarkophag hoben und auf die bereitgestellte Bahre legten. Der Kaplan besprenkelte den Toten mit Weihwasser und begrüßte ihn wieder auf der Erde. Dann endlich warf er ein Leintuch über die schwärzliche Masse.
     
    Stumm zogen die Kreuzfahrer mit ihrer kostbaren Last zur Stadt hinaus. Vor dem Tor hatten Primus und die anderen Knechte schon das Feuer hochgeschürt. Sie hatten sich außerdem von einem Färber einen großen Kupferkessel ausgeliehen, der nun mit Wasser gefüllt über den Flammen hing. Raimund packte mit an, als sie den toten Landgrafen von der Bahre hoben und ins kochende Wasser gleiten ließen.
    Einen halben Tag und eine Nacht lang schürten sie das Feuer, bis alles Fleisch von den Knochen abgefallen war. Dann schütteten sie den Inhalt des Kessels in eine flache Grube, ließen die Flüssigkeit absickern und trennten dann behutsam die Gebeine von den zerkochten Resten des Leichnams. Vater Berthold legte das Skelett sorgfältig auf Leintüchern aus, um es drei Tage lang in der Sonne trocknen zu lassen. Schließlich fanden die weißgebleichten Gebeine Aufnahme in zwei schweren, metallbeschlagenen Kisten.
     
    Am Dienstag nach Oculi brachen die Thüringer Kreuzfahrer von Otranto auf. Sie hatten ihre Route so berechnet, dass sie am Ende jeder Tagesetappe eine Ortschaft mit Kirche oder ein Kloster erreichten, damit Ludwigs Gebeine an heiliger Stätte die Nacht verbringen konnten.
    Es war ein trauriger Zug, der sich da von der südlichsten Spitze Italiens auf den langen Weg nach Norden machte. Die Männer ritten mit ernsten Mienen und trüben Gedanken los, ohne Wiedersehensfreude, ohne Erleichterung darüber, dass dieser Kreuzzug für sie vorbei war. Sie brachten ihren Landgrafen heim.
    Und Raimund graute die ganze lange Reise über vor dem Augenblick, in dem sie Elisabeth die sterblichen Überreste ihres geliebten Ehemannes übergeben würden.

Gisa
    » A uf bald!«
    »Seid schön brav!«
    »Gebt gut aufeinander acht!«
    Winkend standen wir vor dem »Wilden Mann« und sahen der kleinen Reisekutsche nach, die ratternd auf dem hartgefrorenen Schlammboden davonholperte. Voran ritten die Brüder Vargula, in der Kutsche saß Guda mit den beiden Kindern. Gertrud hatten wir nicht mitgeschickt; wir hatten Angst, als Wickelkind sei sie noch zu klein für die lange Reise zu den Benediktinerinnen nach Kitzingen. Es war keine Zeit mehr gewesen, um Elisabeths Tante Mechthild, einer jüngeren Schwester ihrer Mutter, Nachricht zu schicken. Aber Elisabeth war sich sicher, dass die Äbtissin ihre Kinder aufnehmen würde.
    Für uns alle war es eine Erleichterung, dass Hermann und Sophie fort waren, gerade weil wir die Kinder liebten. Trotzdem blieb weiterhin die Frage, wie lange wir das Leben im Schweinestall noch aushalten sollten? Warum kam Konrad nicht? Hatte er Elisabeth am Ende schon aufgegeben, weil sie nicht mehr Landgräfin war? Oder war er zornig, weil sie die Entscheidung, in die Armut zu gehen, ohne ihn getroffen hatte? Unsere Unsicherheit wuchs mit jedem Tag. Wir – oder zumindest Guda, Isentrud und ich wussten, dass wir in spätestens zwei oder drei Wochen

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