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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sagen habe!«
    Wir stellten uns auf die Zehenspitzen, um sie besser sehen zu können. Ganz alleine stand sie dort vorn, bleich und verhärmt, eine elende, vom Hunger gezeichnete Gestalt. Aber um ihr Gesicht lag ein wundersames Strahlen, ihre Augen waren voller Erwartung in die Ferne gerichtet, und in ihrer Stimme vibrierte Jubel.
    »Ich habe mit Königen gespeist und unter Fürsten gelebt. Ich trug Geschmeide und seidene Kleider. Ich hatte Diener, die mir jeden Wunsch erfüllten, und musste nie von meiner Hände Arbeit leben. Mir mangelte es an nichts; was ich brauchte, besaß ich im Überfluss. Und dennoch hungerte und dürstete, fror und litt meine Seele. Trotz meines Reichtums habe ich all die Jahre versucht, demütig nach Gottes Willen zu leben. Ich habe gegeben, was ich besaß, habe Entsagung geübt in vielen Dingen. Ich habe getan, was ich tun konnte, um meinen heiligen Ahnen, die über mich wachen, gerecht zu werden. Ich habe mich erniedrigt und bin in die Hütten der Ärmsten gegangen. Ich habe meinen Ekel überwunden und die Schwären der Aussätzigen geküsst. Ich habe meine Jungfräulichkeit geopfert, meinem geliebten Ehewirt Gehorsam geleistet und ihm unter Schmerzen drei Kinder geboren. Er war der Freund meiner Seele, die Liebe meines Herzens, das Teuerste, was ich hatte. Jetzt, da er dort droben im Himmel ist und das Antlitz des Allmächtigen schauen darf, ist mir alle Welt mit ihm gestorben. Seither kann ich nicht mehr leben, wie es mir mein Gewissen aufträgt. Ich darf euch, den Bedürftigen, den Kranken, den Alten, nichts mehr geben. Ich darf mein Gelübde nicht mehr einhalten. Man hat versucht, mich von meinem Erlöser fortzureißen. Aber ich kann und will mich der schnöden, gottlosen Macht nicht beugen. Deshalb bin ich heruntergestiegen von meinem Platz dort droben auf der Burg und bin ins Elend gegangen. Denn mir gebührt kein anderer Ort auf Erden als dieser, ich bin die Geringste unter den Geringen. Wenn ich, aller Menschen Ärmste, zum Gebet gehe, so schmücke ich mich selber mit dem Unedlen meines Wesens und kleide mich mit dem Abschaum, der ich selber bin. Dann beschuhe ich mich mit der edlen Zeit, die ich verloren habe, alle meine Tage und gürte mich mit der Pein, deren ich schuldig worden bin, und hülle mich in den Mantel der Verderbnis, deren ich voll bin. Mein Haupt kröne ich mit einer Krone heimlicher Schande, durch die ich mich wider Gott vergangen. Dann nehme ich in meine Hand den Spiegel wahrhafter Erkenntnis und sehe darin, wer ich selber sei, und sehe darin leider nichts anderes denn alles, o weh.«
    Die Leute sahen sich betroffen an. Was hatte das alles zu bedeuten? Was wollte die Landgräfin, diese seltsame Frau, die da in Lumpen vor ihnen stand und von der dennoch ein Leuchten ausging, als trüge sie am ganzen Leib Gold und Geschmeide?
    Elisabeth sprach weiter: »Unser Erlöser sagt: ›Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.‹ Ja, das ist der Wille des Herrn; nackt sollen wir unserem Erlöser nachfolgen. So soll es sein. Und darum will ich heute, vor euch allen und im Angesicht des Gekreuzigten, der über diesem Altar hängt, ein Gelübde tun. Hört: Ich schwöre der Welt ab. Ich sage mich los von allem, was mich ans Irdische bindet. Ich verzichte auf meine Familie, meine Verwandtschaft, meine Kinder, denn ich will niemanden mehr lieben als Gott allein. Ich verzichte auf meinen Stand, meine Würden und Titel. Ich verzichte …«
    »Halt!«
    Alle Köpfe fuhren herum. Das Kirchenportal war aufgerissen worden, und ein Mann stand wie ein schwarzer Geist im Gegenlicht, den Arm hoch erhoben. Nochmals rief er: »Halt!«
    Ich hätte gar nicht hinsehen zu brauchen. Diese Stimme hätte ich unter tausend anderen erkannt. Aber ich drehte mich dennoch um. Ja, da stand er, in seiner dunklen Kutte, deren Kapuze er sich jetzt vom Kopf streifte. Obwohl ich ihn selber benachrichtigt hatte, traf es mich wie ein Schlag.
    Konrad von Marburg war zurückgekommen.
     
    Der Prediger ging mit festen Schritten durch das Mittelschiff zu Elisabeth, die wie erstarrt vor dem Altar stand. »Ich verbiete dir, deinen Besitzungen zu entsagen!«, donnerte er.

Eisenach, Karfreitag 1228
    » W as hast du dir dabei gedacht, du törichtes Weib? Auf alles zu verzichten? Wovon hättest du denn leben wollen, wovon den Armen geben? Wie kannst du einen solchen Schritt tun, ohne mich zu

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