Die Tore des Himmels
darauf, so zu leben wie Jesus Christus. Sie hatte geglaubt, sie habe ihren Weg endlich gefunden. Und nun kam ihr Beichtvater und zerstörte alles. »Warum nur glaubt mir niemand, dass auch ich weiß, was meine Bestimmung ist?« Sie ballte die Fäuste. »Immer habe ich die Wünsche und Befehle anderer befolgt. Meine Eltern, Zieheltern, mein Ehemann, mein Schwager, Ihr – hat jemals einer gefragt, was ich möchte? Keiner von euch hat mich jemals ernst genommen. Aber Gott nimmt mich ernst. Er hat sich mir offenbart, hat mich gerufen. Und Ihr wollt nun verhindern, dass ich tue, was er von mir verlangt?«
Der Prediger ließ ihren Ausbruch ruhig über sich ergehen. Dann antwortete er: »Wie kannst du an Gottes Willen zweifeln, der den Mann als Muntwalt über das Weib gesetzt hat? Er selber hat mich gesandt, dir zu helfen und dich zu erheben.« Mit einem Kopfschütteln stand er auf; wie ein schwarzes Tuch fiel sein Schatten über Elisabeth, die auf ihrem Stuhl zusammengesunken war. »Nun gut, Frau Elisabeth. Ihr habt die Wahl. Entweder Ihr folgt Eurem Gehorsamsschwur, oder Ihr löst ihn hier.«
Es war einen Augenblick ganz still im Raum. Von draußen hörte man die ersten Vogelstimmen des Frühlings. Jemand sang ein Kinderlied. Guda und Isentrud saßen mit angespannten Mienen da. Ich weiß nicht, was ich mir damals erhoffte oder wünschte. Ich nahm einfach Elisabeths Hand und wartete auf ihre Entscheidung.
Ihre Stimme zitterte, als sie zu Konrad aufsah und sagte: »Aber Ihr schickt mich nicht ins Kloster?«
Konrad wusste, dass er gewonnen hatte. »Vertrau mir«, sagte er süßlich, »ich werde alles regeln. Zuerst muss ich mit deinem Schwager verhandeln. Du brauchst eine Abscheidung. Und dann können wir in aller Ruhe überlegen, was wir damit tun. Hör auf nachzudenken. Ich bin ja nun da.«
Unsicher sah Elisabeth den Prediger an. »Lasst Ihr mich dann wenigstens in Armut leben?«
»Ich werde so handeln, wie es am besten für dich ist, das verspreche ich.«
Da nickte sie. »Dann, Meister, will ich Euch folgen, so wie ich es geschworen habe.«
Er wandte sich zur Tür. »Gut. Geh jetzt in deine Behausung und warte auf meine Nachricht.«
Langsam gingen wir heim. Elisabeth sprach kein Wort, sie wirkte müde und kraftlos. Konrad hatte sie wieder völlig in seine Hand bekommen. Es war beängstigend, wie mühelos es ihm wieder einmal gelungen war, sie seinem Willen zu unterwerfen. Ich hatte das Gefühl, er konnte sie zu allem bringen – wenn er ihr befohlen hätte, vom Kirchturm zu springen, hätte sie es wohl auch getan. Dennoch fühlte ich mich erleichtert, denn jetzt würde wenigstens eine Lösung kommen. Schließlich konnte es nicht so weitergehen wie bisher. Alles, was Konrad seinem Mündel nun vorschlagen würde, konnte nur besser sein als das elende Leben in einem schmutzigen Schweinestall oder auf der Straße.
Als wir zu Hause ankamen, wartete dort eine weitere Überraschung auf uns. Mechtel und ihre Kinder hockten am Tisch und stopften süße Wecken in sich hinein. Bei ihnen saß eine fremde Frau in der Tracht der Benediktinerinnen. Als sie uns hereinkommen sah, erhob sie sich zu stattlicher Größe und Leibesfülle und fragte mit tiefer Stimme: »Welche von euch ist Elisabeth?«
Elisabeth trat vor. »Tante Mechthild?«, fragte sie ungläubig.
»Wer sonst?«, brummte die Äbtissin und schüttelte beim Anblick ihrer Nichte angewidert den Kopf. »Du meine Güte, es ist ja noch schlimmer, als man mir berichtet hat. Nur noch Haut und Knochen.« Sie zog eine Strähne von Elisabeths Haar durch ihre Finger. »Und Läuse. Heilige Einfalt!«
Elisabeth schämte sich sichtlich. »Tante, ich …«
»Schweig! Ich will gar nichts hören.« Mechthild von Andechs erhob sich ächzend. »Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben. Das ist ja eine Schande für die ganze Familie. Weißt du, dass man an allen Höfen im Reich über dich redet? Sie zerreißen sich das Maul über dich! Ganz und gar verrückt seist du geworden, sagen sie! Und wenn ich dich so sehe, dann weiß ich nicht, ob sie nicht recht haben.« Die Äbtissin winkte ab. Dann wandte sie sich an mich und die anderen beiden Dienerinnen. »Sputet euch, packt eure Sachen, wir fahren!«
»Wohin?«, wagte Elisabeth zu fragen.
»Nach Kitzingen«, antwortete Mechthild und stemmte die Arme in die Hüften. »Und zwar sofort. Und vergesst nicht die Ziege für die Kleine.«
Elisabeth war nun endgültig so erschöpft und verwirrt, dass sie gar nichts mehr sagen konnte.
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