Die Tore des Himmels
unbequeme Schnabelschuhe schlüpfen, und am Schluss setzten sie ihr ein silbernes Schapel auf, das vorn über der Stirn eine riesige, schimmernde Perle hatte. Es war Teil ihres Brautschatzes, der im Schatzgewölbe lagerte. Wenn Elisabeth in dieser Aufmachung zur Messe schritt, hatte ich jedes Mal das Gefühl, das sei gar nicht sie.
Nach der Messe kam immer das Morgenmahl; wie üblich nahmen es die Männer gemeinsam in der Hofstube ein, während wir Kinder mit den Frauen im Frauenzimmer aßen. Elisabeth war nicht dazu zu bringen, in ihren schönen Kleidern zu essen, sie rannte sofort in die Kinderstube, riss sich alles hastig vom Leib und schlüpfte wieder in die Alltagskotte. So kam sie jedes Mal zu Tisch. Unter Sophias missbilligenden Blicken stopfte sie dann alles in sich hinein, was ihr in die Finger kam. Gierig griff sie in die Schüsseln und Schalen, holte sich Fleischstücke und Fischbrocken, Hühnerbeine und Pasteten. Guda, die mit ihr den Teller teilte, erwischte dabei fast nichts, weil sie so langsam war. Aber sie war das ja gewohnt. Elisabeth hatte schon immer für ihr Leben gern gegessen, darin verstanden sie und ich uns recht gut. Beide waren wir versessen auf Süßigkeiten: Honigstriezel, eingelegte Früchte, Latwerge, Hirsebrei mit Weinbeerlein, Hutzelobst. Aber während Elisabeth davon pummelig wurde und dicke Backen bekam, konnte ich essen und essen und legte doch nicht zu. Sie wuchs immer mehr zu einem großen und massigen Mädchen heran, und ich blieb zu meinem Leidwesen ein dürres kleines Ding, da konnte ich essen, was ich wollte. Wir müssen ein recht unterschiedliches Bild abgegeben haben – sie einen guten Kopf größer als ich, dunkellockig und kräftig gebaut, ich schmal und zierlich, hellhäutig und mit glatten, silberblonden Haaren.
Ja, wer sie später gekannt hat, mag es kaum glauben, aber das Essen war damals ihr größtes Vergnügen – wenn man vom Beten und dem Anhören frommer Geschichten absieht. Sie war immer hungrig, und es gab nichts, was ihr nicht schmeckte. Traurig, wie sich das später ändern sollte. Was muss es sie anfangs Kraft gekostet haben, das Speisegebot einzuhalten, das ihr auferlegt wurde! Aber mit eisernem Willen befolgte sie es, und später konnte sie gar nicht mehr anders. Da war ihr das Körperliche nicht mehr wichtig. Sie wusste nie, wie nahe sie damit den Abtrünnigen wirklich war.
Seit Hermann wieder am Hof lebte, wurden die Kampfübungen der Landgrafensöhne häufiger und härter. Es war beschlossene Sache, dass er als ältester Sohn an seines Vaters Stelle am Kreuzzug teilnehmen sollte. Das war eine große Verantwortung, und es war natürlich auch gefährlich, aber Hermann war trotz seiner Jugend schon ein gefürchteter Kampfgegner bei allen Turnieren.
In diesem Sommer des Jahres 1216 sah ich bei jeder Gelegenheit auf dem Turnieranger zu. Das waren die kostbaren Stunden, in denen ich meinem Geliebten nah sein konnte. Manchmal, und das waren meine schönsten Augenblicke, setzten wir uns mittags in der luftigen Sommerlaube der Neuenburg zusammen, oben auf dem Wohnturm, und er sagte die neuesten Gedichte des Herrn Walther auf, oder ich sang ihm Lieder vor. Ich war ja sehr gut auf der Laute, und meine Stimme klang inzwischen viel fraulicher und nicht mehr so piepsig wie früher. »Gisa«, pflegte er dann zu sagen, »du singst süß wie eine Lerche.« Agnes und Guda saßen meist auch dabei, auch die Kammerjungfern, oft sogar Ludwig und Konrad, nur Elisabeth nicht, die sich wenig aus solcher Kunst machte.
Wenn wir dann so saßen, schmolz ich allein schon beim Anblick meines Ritters dahin. Was war er doch für ein schöner Mann mit seinem sonnengebräunten Gesicht und den dunklen Schatten von Bartwuchs auf Wangen und Kinn. Wie tief und samtig seine Stimme war. Und wie herrlich er erzählen konnte, vom Kreuzzug ins Heilige Land oder von all den Gefahren, die er schon bestanden hatte. Ich versuchte, ganz erwachsen zu wirken, wenn wir zusammen waren, wollte ihn beeindrucken mit klugen Worten. Wie gern hätte ich ihm erzählt von meinem großen Abenteuer – der Teufelsmesse. Aber das durfte ich ja nicht, es war viel zu gefährlich. Dennoch, ich wusste, er würde mich einmal lieben. Schließlich hatte er sich mir anversprochen, damals, ich war seine Dame! Daran glaubte ich ganz fest. Bis zu jenem Abend im Spätsommer, an dem ich im Garten der Neuenburg nach meinem weißen Band suchte.
Es war ein heißer Tag gewesen, und nun wehte ein linder Abendwind
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