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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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habe, und Mutter kommt durchs Unterholz, knack knack machen die Zweige unter ihren Füßen. Sie hebt das Bündel hoch. »Schscht, schscht, hast Hunger, mein Michele, ach, ich weiß schon«, säuselt sie. Dann hockt sie sich auf ein Moosbett, macht den Kittel auf und lässt Michel an ihrer Brust trinken. Ich setze mich neben sie und rümpfe die Nase. »Der stinkt«, sage ich verächtlich. Ich kann schon zum Kacken auf den Misthaufen gehen wie die Großen, aber Michel nicht, und deshalb ist er dauernd in seiner eigenen Scheiße eingewickelt. Die Windel muss Mutter im Eimer waschen, das ist pfuiteufelsaueklig.
    Wenn wir heute genug Pilze finden, gibt das ein Abendessen, und was für eins! Mit Zwiebeln und Rüben und Brot, da läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Als ich noch kleiner und Michel noch nicht da war, hatten wir kein Brot zu essen. Das war, nachdem meine Schwester gestorben ist. Ein Hungerjahr, sagt der Vater, und dass er alles Korn hat behalten müssen zum Aussäen. Aber jetzt war eine gute Ernte, und wir haben sogar eine Kuh kaufen können, die Braune. Sie glotzt mich mit ihren runden, feuchten Augen an, wenn ich beim Melken dabeistehe. Und dann darf ich immer den ersten Schluck aus dem Eimer haben, schaumige, warme, weiße Milch. Das macht Kraft, sagt Mutter. Und ich bin ja auch kräftig, weil ich kann schon den großen grauen Kater hochheben, aber bloß, wenn er sich mal nicht wehrt.
    Wir finden eine Menge Pilze, die Mutter daheim zubereitet, und später gehen wir satt und zufrieden ins Bett. Wir schlafen alle in einem, das hat der Vater aus Holzbrettern gebaut, und unten ist ein Strohsack, damit wir es weich und warm haben. Bis Michel gekommen ist, durfte ich zwischen den Eltern liegen, aber jetzt muss ich auf die Außenseite neben den Vater, da ist es nicht so schön. Wenn er sich umdreht, schmeißt er mich jedes Mal fast aus dem Bett.
    In der Nacht wache ich auf, weil es ein Durcheinander gibt. Vater steigt über mich und schlägt am Tisch Feuer, dann flackert der Docht des Talglichts auf. Die Braune brüllt im Stall. »Pass auf das Michele auf«, sagt Mutter und fährt schnell in die Holzschuhe. Dann gehen sie in den Stall. Ich sitze im Bett und langweile mich, weil das Michele schläft. Viel lieber würde ich jetzt hinübergehen und schauen, was mit der Braunen ist. Wenn er schreit, darf ich kommen, hat die Mutter gesagt, also zwicke ich ihn in die Backe, bis er plärrt. Schnell krabble ich aus dem Bett und nehme ihn auf den Arm. Er ist nicht so schwer wie der Kater, und so renne ich mit ihm über den Hof in die Scheune.
    Die Braune liegt auf dem Boden, und ihr Bauch ist sooooo groß. Sie muht nicht mehr, sie schnauft und keucht aber laut und verdreht die Augen, dass man das Weiße sieht. Mutter und Vater knien neben ihr und kneten ihren Leib. »Was hat sie denn?«, frage ich neugierig, während mir Mutter den Michel abnimmt. »Sie kann nicht furzen«, erklärt Vater. Ich muss kichern, höre aber gleich wieder auf, weil ich merke, dass das wohl etwas Schlimmes ist. Keiner sagt, dass ich wieder ins Bett soll, also setze ich mich mit Michele ins Stroh, neben den Hackstock mit dem Talglicht, und schaue zu. Vater schwitzt vom Bauchkneten, und Mutter ist ganz weiß im Gesicht, und ich bekomme langsam Angst. Die Braune röchelt bloß noch und zuckt, und dann liegt sie einfach da und macht gar nichts mehr. Vater weint, und ich weine auch, und Michel brüllt, und Mutter legt ihren Kopf auf den Hals der Braunen. Keiner sagt mir was, aber ich glaube, dass die Braune tot ist, tot und weg wie mein Schwesterchen.
    Später gehen wir wieder ins Bett, es ist noch dunkel und der Mond glotzt übers Dach. Ich bin steinmüde und mir fallen gleich die Augen zu, aber dann muss ich schon wieder aufwachen. Ein heller Schein fällt durch unser winziges Fenster, aber es ist ein merkwürdiger Schein, nicht so, wie wenn früh die Sonne aufgeht. Und der Schein wackelt und ist ganz rot. Und es knackt und kracht. Ich ziehe meinen Vater am Ärmel, er knurrt erst, aber dann springt er mit einem Schrei aus dem Bett und ist zur Tür hinaus. Mutter und ich hinterher, und dann stehen wir draußen und sehen, wie’s brennt. In der Scheune ist Feuer, ganz großes, heißes Feuer, und es brennt alles, was drin ist, mitsamt der Braunen, bis zum Dach. Die Mutter kniet sich hin, wie in der Kirche, und der Vater hält die Hände vors Gesicht. Er weint schon wieder, dabei sagt er mir immer, große Buben dürfen nicht weinen. Es schüttelt ihn

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