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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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verzweifelt meine Schwurfinger entgegen.
    »Du wirst schweigen wie ein Grab! Dein Leben lang wirst du zu niemandem ein Wort sagen. Schwör’s!«
    »Ich schwöre!« Mir klapperten die Zähne. Die Landgräfin ließ mich los, und ich fiel hin. Schwer atmend stand sie über mir, ihr Gebende hatte sich verschoben, und blonde Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Ich starrte sie an, voller Schrecken. So hatte ich sie noch nie gesehen. Sie war ganz weiß um die Nase, ihre Lippen zitterten, ja, sie bebte am ganzen Körper. Und plötzlich wurde mir klar, dass sie Angst hatte, genau wie ich. Leise schluchzend rappelte ich mich auf. Da nahm sie mich in die Arme und streichelte meinen Kopf. »Es tut mir leid, Gisa«, sagte sie und wiegte mich sanft. »Ich wollte dir nicht weh tun. Du kannst schließlich nichts dafür.« Eine Weile standen wir so da, und ich weinte ihr das Kleid nass. »Du musst dich nicht fürchten, meine Kleine«, sagte sie schließlich mit müder Stimme. »Aber du musst vergessen, was du heute gesehen hast.«
    Ich nickte heftig. Oh, ich wollte es vergessen, ganz bestimmt. Ganz fest nahm ich mir vor, nie mehr daran zu denken. Es war nur ein schlechter Traum gewesen. Nur ein schlechter Traum. Nur ein Traum.

Aus dem Bericht des Prämonstratensermönchs Everwin von Steinfeld über die »Ketzer von Köln«, gesandt an Bernhard von Clairvaux
    … Sie sagen, nur bei ihnen sei Kirche, weil nur sie auf dem Wege Christi folgten und sie echt dem Leben der Jünger beständig folgten. Sie strebten nicht nach den Dingen der Welt, besäßen weder Häuser, Äcker, Geld, genau wie Christus nichts besaß und seinen Jüngern keinen Besitz erlaubte. Ihr dagegen, sagen sie zu uns, verkuppelt Haus zu Haus, Acker zu Acker, jagt nach dem Weltlichen. Selbst die bei Euch als die Vollendetsten gelten, also die Mönche und Kanoniker, auch wenn sie’s persönlich nicht besitzen, so besitzen sie’s doch als Besitz der Institution.
    Sie sagen von sich: Wir sind die Armen Christi. Wir führen ein heiliges und strenges Leben, halten uns im Fasten, halten Tag und Nacht in Gebeten und Anstrengungen durch und erbitten nur das Lebens-Notwendige für unseren Lebensunterhalt. Wir und unsere Vorfahren, aus dem Geschlecht der Jünger, blieben in der Gnade Christi und werden da bleiben bis zum Ende der Welt …

Beschreibung eines ketzerischen Gottesdienstes
durch den Inquisitor Konrad von Marburg,
veröffentlicht in der päpstlichen Enzyklika Vox
in Rama. Übersetzung aus dem Lateinischen.
    … Stets wenn ein Neuling in die Sekte Aufnahme findet, muss er zunächst eine Kröte küssen. Dann tritt er zu einem schwarzen Kater, der eine Säule rückwärts herabklettert; ihn muss er gleichfalls küssen – auf die Hinterbacken. Nach einem Gebet werden die Kerzen gelöscht und in der Dunkelheit finden fleischliche Ausschweifungen statt, auch wider die göttliche Ordnung. Wenn sie genug von dem abscheulichsten aller Verbrechen haben, zünden sie wieder die Lichter an und dienen einem Mann, der oben herum wie die Sonne hell erstrahlt, unten herum aber struppig wie ein Kater aussieht. … Alle lästern Gott, lassen sich an Ostern das Abendmahl geben, um den Leib des Herrn dann in den Abtritt zu spucken. Am Ende werde der Teufel, ihr Gott, die Herrschaft im Himmel antreten und Gott von dort vertreiben …

Gisa
    I ch wollte nicht an die Ketzermesse denken, aber ich musste. Sie ging mir nicht aus dem Kopf, und jedes Mal, wenn ich den Landgrafen sah oder jemand von den anderen Teilnehmern, überlief es mich eiskalt. Ich hatte Angst um meinen Ziehvater, um meine Ziehbrüder Ludwig und Heinrich Raspe. Würde Gott sich nicht an ihnen rächen? Und ich hatte Angst um mich selber. Wenn Wido jemals erführe, dass ich alles beobachtet hatte – würde er mir womöglich etwas antun? Die Landgräfin hatte recht, ich durfte es niemandem sagen, um meiner eigenen Sicherheit willen. Und wem hätte ich es auch erzählen sollen? Agnes? Die wäre vermutlich geradewegs zu ihrem Vater gelaufen und hätte mich verraten. Guda? Die war in solchen Dingen keine Hilfe. Und Elisabeth? Ich hätte ihr nur Angst eingejagt, und in ihrer übertriebenen Frömmigkeit hätte sie bestimmt Magister Berthold brühwarm alles weitergesagt. Also schwieg ich, auch wenn mir das Ganze nicht aus dem Kopf ging. Im Gegenteil, ich machte mir sogar immer schlimmere Sorgen um meinen Ziehvater. Traf ihn wohl schon die Strafe des Allmächtigen?
     
    Denn das war die Zeit, als die Krankheit des

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