Die Tore des Himmels
richtig, und ich habe schon wieder Angst. Das Feuer frisst mit seinen gelben Flammenzähnen die ganze Scheune auf, und jetzt fällt mir ein, dass die Kornsäcke ja auch drin waren und die Krautsköpfe und die Zwiebeln und alles. »Was wollen wir denn jetzt essen?«, frage ich, und da weint auch die Mutter.
Wir bleiben da, bis es hell wird, und da ist dann die Scheune weg, nur noch ein Haufen schwarzer Schutt und heiße Asche.
»Herrgott im Himmel«, fragt die Mutter, und ihre Stimme klingt ganz seltsam, »was haben wir verbrochen, dass du uns so strafst?«
Noch vor dem Winter ziehen wir weg. Wir können die Steuer nicht zahlen, sagt Vater, ich hab den Hof hergeben müssen. Das Geld reicht nicht für einen neuen Hof, also bekommen wir einen vom Herrn. Ich finde das freundlich vom Herrn, dass er uns hilft, wo uns doch die Braune gestorben ist und die Scheune abgebrannt. Aber Vater sagt, das ist nicht freundlich, wir sind jetzt keine Grundholden mehr, sondern bloß noch Hörige. Wir sind unfrei, so sagt man. Der Hof gehört uns nicht, wir dürfen nur dort wohnen und müssen noch viel mehr Steuern an den Herrn zahlen. »Wer ist das, der Herr?«, frage ich. Und Mutter sagt: »Der Landgraf. Der wohnt dort droben auf seiner schönen Burg und hat ein feines Leben. Der isst den ganzen Tag gebratene Hühnchen und gesottenen Karpfen und weiches weißes Brot und trinkt nichts als Wein und Honigmilch.«
So ein Landgraf möcht ich auch sein, denke ich. Und mein Magen knurrt dabei, weil wir kaum was zu essen haben.
Der kleine Hof liegt ganz am Rand von Stregda, einem Dorf mit fünf oder sechs Hufen und Selden. Wir stehen vor dem Haus, Vater hat den Karren abgestellt, und gucken es an. Es ist viel kleiner als daheim, bloß Lehm und Fachwerk mit winzigen Fensterlöchern, deren Ränder ausgebröckelt sind. Oben im Strohdach ist ein Loch für den Rauch vom Herdfeuer. Die Tür hängt schief. Mutter sagt: »Ach Gott.«
Wir schleppen den Strohsack hinein und die Töpfe, die Körbe mit unserem bisschen Wäsche und alles, was wir noch haben. Drinnen sind die Wände schwarz vom Rauch, und es riecht wie Räucherschinken, bloß ohne Schinken. Das Bett haben wir nicht mitnehmen können, also schlafen wir in der Ecke mit dem Strohsack auf dem Boden.
Am nächsten Tag gehe ich mit dem Vater in die Stadt, weil dort Markt ist. Von dem Geld, das wir für die Sachen vom alten Hof bekommen haben, kauft Vater eine Ziege, einen Hahn und drei Hennen, dazu so viel Mehl, wie wir bis Weihnachten brauchen, und andere Vorräte auch. Weil, es ist ja alles weg.
Dann ziehen wir unseren Karren in Richtung Nikolaitor. Es wird schon bald dunkel, und mich friert. Auf der Gasse wirbelt ein Windstoß das Laub durcheinander, es fliegt mir um die Ohren, und ich fange mir ein Blatt. Da plötzlich sehe ich vor uns eine merkwürdige Gestalt in einem Toreingang stehen, ganz in bunte Lumpen gehüllt, gelb und grün und blau. Als wir auf die Gestalt zukommen, bewegt sie sich. Das Tuch rutscht ihr vom Kopf und ich sehe, es ist eine alte Frau. Sie hat schlohweißes Haar, und ihr Gesicht ist voller Runzeln und Falten. Aber ihre Augen sind von allerhellstem, gläsernem Blau und leuchten so, als ob in ihnen eine besondere Kraft läge. Mein Vater will den Karren an ihr vorbeiziehen, da hält sie ihn an, mit einer Hand, die aussieht wie ein braun verdorrter Ast.
»Willst du nicht die Zukunft wissen?«, fragt das Weib. Ihre Stimme knarzt wie eine alte, ungeschmierte Tür.
»Meine Zukunft?« Der Vater lacht kurz auf. »Nein, die kenn ich schon, leider.«
»Aber die deines Sohnes, hm?« Die Alte zeigt ein zahnloses Lächeln und deutet auf mich. »Hübscher Bursche, der Kleine.« Sie beugt sich zu mir herunter und streichelt meine Backe, ich rieche Kräuter und Honig. »Nicht dein Einziger«, sagt sie zum Vater und schaut mich mit durchdringendem Blick an. »Du hast noch zwei – halt nein, eins nur, das andere ist im Himmel.«
Der Vater zuckt zusammen, und ich auch. Wie kann sie das wissen?
Vater kramt in seinem Hosensack. »Einen Viertelpfennig hab ich noch.«
Die Alte kichert. »Weil du’s bist.« Sie lässt die Münze in ihrem Rock verschwinden. Dann winkt sie mir, und wir setzen uns auf eine Stufe. »Gib mir die Linke, die sagt die Wahrheit«, schnarrt sie. Sie dreht meine Hand um und zieht mit dem schmutzigen Nagel ihres Zeigefingers die Linien nach. »Schau, das ist die Lebenslinie. Die ist lang und gut eingeprägt, das heißt, dir ist ein langes Leben
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