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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nachfühlen. »Das musst du nicht«, versuchte ich sie zu trösten. »Du hast doch uns.« Aber ich war selber nicht überzeugt von dem, was ich da sagte.
     
    Nach Hermanns Begräbnis hielt es keiner mehr im Eisenacher Steinhof aus. Die Landgräfin beschloss, die Hofhaltung nach Gotha auf die Burg Grimmenstein zu verlegen, wo wir sonst eigentlich selten hinkamen. Vielleicht genau deswegen – dort gab es wenig Erinnerungen. Der Landgraf – ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt begriff, dass sein Sohn tot war – wurde in einen geschlossenen Wagen gesperrt und den ganzen Weg über nicht herausgelassen. Es war ein trauriger Zug, der da über Land fuhr.
    Aber am traurigsten war Ludwig. Er hatte seit Hermanns Tod nicht mehr am Leben teilgenommen, war nicht aus der alten Turmkammer herauszulocken, in der wir als Kinder oft heimlich gespielt hatten. Wie sehr muss er seinen Bruder geliebt haben, dachte ich damals. Erst viel später erzählte mir Elisabeth, in welch schreckliche Schuld er verstrickt war. Es war bezeichnend für sie, dass sie sich in dieser für sie so schwierigen Zeit auch noch Gedanken um Ludwig machte.
    Am Tag vor Hermanns Grablege ging sie zu ihm. Alles, was ich hier erzähle, weiß ich von ihr. Sie klopfte an der Kammertür. »Ich bin’s, Elisabeth«, flüsterte sie, »mach auf.« Und Ludwig, der bis dahin niemanden eingelassen hatte, öffnete die Tür. Vielleicht, weil er vor Elisabeth keine Angst zu haben brauchte. Oder weil er damals schon spürte, dass sie die beste Trösterin von allen war. Er sah furchtbar aus, hatte wohl in den letzten Tagen weder geschlafen noch etwas zu sich genommen. Elisabeth, die schon immer diese Gabe hatte, Menschen aufzurichten und ihnen Zuneigung zu zeigen, ging einfach auf den sieben Jahre Älteren zu und nahm ihn in die Arme, als sei nicht sie das Kind, sondern er. Und er ließ es geschehen. »Sei nicht traurig«, sagte sie, »der liebe Gott hat es so gewollt.«
    »Dein lieber Gott ist nicht lieb«, sagte Ludwig bitter. »Er hat uns alle verlassen. Meinen Vater, meinen Bruder und mich. Auf unserer Familie liegt ein Fluch.«
    Sie verstand nicht. »Du kannst doch nichts dafür«, antwortete sie, »und dein Vater auch nicht. Es ist nur so, dass wir manchmal Gottes Wege nicht verstehen. Du musst dich nicht hier drin einsperren.«
    Da weinte er, endlich. Die Tränen taten ihm gut, und auch die Gegenwart dieses jungen Mädchens, das so viel Liebe verströmte. Irgendwann setzten sich die beiden auf eine große Schranktruhe. »Es ist meine Schuld«, sagte er leise. Und dann erzählte er, was Elisabeth mir und Guda viele Jahre später unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute. Denn die Zeugen des Geschehens sprachen nie über den Unfall, als hätte Schweigen je etwas geholfen.
    Heute denke ich, dass Ludwig sich nicht nur schuldig fühlte. In den Tagen, die er in der Kammer verbrachte, suchte er verzweifelt eine Erklärung für das göttliche Strafgericht, das über seinen Vater, seinen Bruder und ihn selbst hereingebrochen war. Nichts geschah doch ohne Grund. Und wie Ludwig auch alles drehte und wendete, ihm fiel nur ein wirklich triftiger Grund für so viel Unglück ein: Die Hinwendung des Landgrafen und seiner Söhne zu den »Guten«. Natürlich hatte er immer gewusst, dass die Kirche den Glauben, dem sie anhingen, als ketzerisch ansah. Aber auch diesen neuen Orden aus Italien, der sich kürzlich in Assisi niedergelassen hatte und Armut und Besitzlosigkeit predigte, hatte man anfangs für häretisch gehalten. Und das Wort seines Vaters war Ludwig stets heilig gewesen. Wenn der Landgraf an die Lehren der Katharer glaubte, dann musste dies recht und gut sein, auch für seine Söhne. Wie seine Brüder war auch Ludwig zutiefst überzeugt gewesen von dem, was Wido predigte. Es war das echte, das wahre Christentum, dem sie anhingen. Doch nun? Hermann war tot und sein Vater von einem Dämon besessen. Einen deutlicheren Fingerzeig konnte der Himmel nicht geben. Gott hatte sie bestraft dafür, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hatten. Und er hatte ihn, Ludwig, mit untilgbarer Schuld geschlagen.
    Ludwig hatte sich in der kleinen Turmkammer zu dieser Erkenntnis gequält. Und als Elisabeth zu ihm kam, da sah er in ihr wohl zum ersten Mal diese reine Frömmigkeit, die Unschuld und die Gottesfurcht, die so viele andere später in ihr erkennen sollten. »Du darfst nicht mit Gott hadern«, sagte sie zu ihm, »denn er liebt dich, und wenn er dir Prüfungen schickt, dann

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