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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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dann, in der Bohlenstube zu Gotha, kurz nach Ostern des Jahres 1217 , schworen wir uns, uns nie zu trennen. Ein Kinderschwur, ein Pakt, aus Verzweiflung geschlossen. Wir waren Schwestern. Feierlich fassten wir uns an den Händen und riefen Gott und die Heiligen zu Zeugen. Und ja, wir haben unser Versprechen bis zum Ende gehalten. Bis zu dem Augenblick, in dem sie selber von uns verlangte zu gehen, haben Guda und ich Elisabeth nie verlassen. Und als es schließlich so weit war, konnten wir nichts mehr tun. Da wussten wir alle längst, wohin sie ihr Weg führen würde.

Burg Grimmenstein in Gotha, April 1217
    » W o ist er?« Der Perfectus hielt sich gar nicht erst mit einer Begrüßung auf. Sobald er vom Zustand des Landgrafen gehört hatte, war er nach Thüringen geeilt, und jetzt stand er schmutzig und durchnässt vom Aprilregen vor Sophia.
    Die Landgräfin sah Wido feindselig an. »Ich lasse Euch nicht zu ihm«, sagte sie. »Ihr konntet ihm schon vorher nicht helfen. Ihr seid sein böser Geist.«
    »Ich bin der Einzige, der seine Seele retten kann«, entgegnete Wido ruhig und sah ihr fest in die Augen. »Es wäre auch sein Wunsch, das wisst Ihr.«
    »Noch ist er nicht tot!«, fuhr Sophia den Perfectus an. »Und Ihr, verfluchter ketzerischer Teufelsanbeter, verschwindet von hier. Ich will Euch nicht mehr sehen.«
    »Aber er würde mich sehen wollen«, erwiderte Wido beharrlich.
    »Hinaus!«
    Der Perfectus verbeugte sich und verließ das Zimmer. Langsam ging er zur Treppe, die abwärts zum Ausgang des Wohnturms führte, als sich plötzlich eine Tür öffnete. »Psst!«, raunte jemand und zog ihn in einen großen Raum.
    Es war Heinrich Raspe, der nun vor Wido auf die Knie fiel und die Worte des Melioramentums sprach. Der Perfectus hob die Hände über den Kopf des Dreizehnjährigen. »Der Herr segne dich, mein Sohn.«
    Heinrich erhob sich; in seinen Augen glitzerten Tränen. »Gott sei Dank, dass Ihr da seid«, sagte er. »Vater geht es schlecht.«
    »Deine Mutter lässt mich nicht zu ihm.« Wido breitete in einer hilflosen Geste die Arme aus.
    Der Junge ergriff seine Hand. »Kommt.«
    Das Gemach des Landgrafen lag im obersten Stockwerk des Wohnturms. Vor der eisenbeschlagenen Tür saß auf einem Dreibein ein junger Wachmann, der nun aufsprang und Haltung annahm.
    »Wie steht es, Enno?«, fragte Heinrich.
    »Er ist ruhig, die meiste Zeit. Wollt Ihr hinein, junger Herr?«
    Heinrich schüttelte den Kopf. »Nur Meister Wido. Er ist ein alter Freund. Ich warte hier.«
    Der Wächter griff nach dem dickbärtigen Schlüssel, der an seinem Gürtel hing, sperrte auf und ließ den Besucher eintreten.
    Das quadratische Zimmer war prachtvoll eingerichtet. An den Mauern hingen feingewebte Wandteppiche, der Boden war mit Binsen bestreut, unter die man getrocknete Duftkräuter gemischt hatte. In einer Ecke stand ein großes Himmelbett mit Samtvorhängen und zerwühlten Laken, die Raummitte nahm ein Tisch mit zwei Stühlen ein. Das Gemach besaß keinen Kamin, und nirgendwo stand ein Kohlebecken. Es war eiskalt, aber man konnte den Landgrafen nicht mit offenem Feuer alleine lassen.
    Hermann saß in einem bequem gepolsterten Lehnsessel vor dem vergitterten Fenster, das nach Süden hinausging, eine Felldecke über den Knien. Er schlief. Sein Kopf hing zur Seite, und aus dem Mundwinkel rann ein dünner Speichelfaden. Wido erschrak über das eingefallene, graue Gesicht seines Glaubensbruders, der in den letzten Monaten um Jahre gealtert schien. Unter den Augen hatten sich tiefe dunkle Schatten eingegraben. Der Perfectus zog sich einen der Stühle heran und setzte sich dem Kranken gegenüber. Er kannte ihn von Jugend an, seit der Zeit, als der junge Landgraf von seinem Aufenthalt am französischen Königshof zurückgekehrt war. Hermann hatte damals die Katharergemeinde in Köln aufgesucht und sich als »Reiner« zu erkennen gegeben. Wido hatte ihn seither begleitet – außer ihm gab es östlich des Rheins nur wenige Perfecti, und Hermann hatte ihn als Seelenführer gewählt. Mit dem Geld und der steten Förderung des Landgrafen war die Kölner Gemeinde zur bedeutendsten des Reiches aufgestiegen. Durch seine Warnung hatten sich ihre Mitglieder vor Verfolgung schützen können, damals, als in Okzitanien die Katharer als vermeintliche Ketzer ausgerottet worden waren und man auch hierzulande die Vernichtung fürchtete. Mit seiner Unterstützung hatte sich eine kleine Gemeinde in Eisenach gründen können, mit nur wenigen Anhängern, aber es

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