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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Mutter.«
    »Lieber Gott, was soll ich nur tun?« Die Landgräfin strich sich müde über die Augen.
    »Er hat sich entschieden. Lass ihn sterben.« Ludwig wusste keinen anderen Rat.
    »Nein.« Sie schüttelte wild den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Nicht so.« Abrupt drehte sie sich um und ging hinaus.
    Ludwig ließ sich auf einen der Stühle sinken und barg den Kopf in den Händen. Vater im Himmel, betete er stumm, ich flehe dich an, hilf mir. Zeig mir, was richtig und was falsch ist. Führe mich, gib mir ein Zeichen! Er horchte in die Stille des Morgens hinein, als erwarte er tatsächlich, eine Antwort zu hören. Doch Gott blieb stumm. Herr, flehte Ludwig, wenn unser Glaube der rechte ist, dann schenke meinem Vater einen guten, würdigen Tod, wie er es sich wünscht. Dann werde auch ich vielleicht Frieden finden …
     
    Sophia fand nach diesem Gespräch keine Ruhe und keinen Schlaf mehr. Ihr Mann hatte sich entschlossen, diesen Ketzertod auf sich zu nehmen, den sie »Endura« nannten! Er würde sich zu Tode hungern! Die Landgräfin war sich ganz sicher: Er würde damit nicht seine Seele befreien, wie er es in seinem Irrglauben erstrebte. Nein, er würde der ewigen Verdammnis anheimfallen. Und was, wenn der Adel Verdacht schöpfte? Würde dadurch nicht die ganze Familie, ja auch sie selber, in Gefahr geraten?
    Zwei Tage nach Cantate, der Landgraf fastete nun schon seit über zwei Wochen, hielt Sophia es nicht mehr aus. Sie befahl, Essen in das Turmgemach zu tragen, alles, was die Küche hergab. Gerichte, die Hermann immer geliebt hatte, Süßes, Wein und Honigmilch. Sie hielt ihm Leckerbissen vor den Mund, ließ ihn den Duft seiner Leibspeisen schnuppern. Doch trotz aller Verlockung blieb der Fastende ungerührt. Schon war er so schwach, dass er nicht einmal mehr zur Verrichtung seiner Notdurft das Lager verlassen konnte, und obwohl er keinen Mohnsaft mehr schluckte, schlief er fast nur noch. Der Arzt gab ihm nicht mehr viel Zeit, und Sophia wusste, dass sie handeln musste. Am Nachmittag schickte sie den Wächter fort und setzte sich alleine ans Bett des Sterbenden, eine Schüssel dünnen Brei aus Reismehl, Schweinefett und Mandelmilch in der Hand. Und mitten im tiefsten Schlaf träufelte sie ihrem Gatten mit einem Löffel winzige Mengen des Breis zwischen die geöffneten Lippen. Da, er schluckte. Sie versuchte es wieder, und es gelang. Nein, er sollte nicht als Ketzer sterben. Noch ein wenig Brei. Seine Seele sollte nicht für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Und noch ein Tröpfchen. Sie wollte ihn doch wiedersehen, dereinst, nach dem Weltengericht. Noch ein Löffel und noch einer. Irgendwann stellte sie die Schüssel ab und ging lautlos hinaus. Sie fühlte sich unendlich erleichtert. Die Endura war gebrochen.
    Als Hermann gegen Abend erwachte, sah er mit dem ersten Blick die Breischüssel neben seinem Bett. Er schmeckte noch die Süße der Mandelmilch, und mit der Zunge ertastete er die verkrusteten Breireste auf seinen Lippen. Er schlug die Hände vors Gesicht, und ein langgedehnter, verzweifelter, nicht endenwollender Schrei entrang sich seiner Brust.
     
    Am nächsten Morgen fanden sie ihn. Wie ein Rasender war er nachts über die Platten mit Essen, die noch auf seinem Tisch standen, hergefallen und hatte seinen vom langen Fasten geschwächten Körper bis zum Bersten mit Nahrung vollgestopft. Den Weinkrug in der Hand, lag er inmitten von Essensresten und Unflat auf dem Boden. Ekler Speisebrei quoll ihm aus Mund und Nase. Er war an seinem eigenen Erbrochenen erstickt.
     
    Niemand erfuhr je die Wahrheit über den schmählichen Tod des Landgrafen. Sophia verschwieg ihren Söhnen, was sie getan hatte. Der Wächter, der Sophia hatte hineingehen sehen und später den Toten entdeckt hatte, verschwand irgendwohin. Die Grablege feierte man mit allem Pomp in der Katharinenkirche zu Eisenach, wo schon der junge Hermann ruhte.
    Ludwig war nun rechtmäßig der alleinige Herrscher in Thüringen. Und seine Entscheidung war gefallen. Er hatte den Himmel um ein Zeichen gebeten, und er hatte dieses Zeichen erhalten. Statt eines würdigen Todes war sein Vater in einem wahnsinnigen Akt der Selbsterniedrigung gestorben. Gott hatte die Endura abgelehnt, ja, sie zum Instrument seiner Strafe gemacht. Die »Reinen« waren irregeleitet. Nun war es an der Zeit, dass er, Ludwig, das Richtige tat. Er wollte nicht so enden wie sein Vater. Und das Land durfte nicht vor die Hunde gehen. Einen Tag und eine Nacht lang spielte er

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