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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Vaters, hatte bei seinem Wittelsbacher Onkel die Schwertleite empfangen. Und mein Herzschlag setzte aus: Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Er war fast zwei Köpfe größer als ich, und sein Wams spannte sich über einer breiten Brust. Das goldbraune Haar trug er glatt, schulterlang und nach hinten gekämmt, und sein Gesicht hatte alle kindlichen Züge verloren. Lächelnd kam er zur Tafel herüber; seine Bewegungen waren selbstsicher, kräftig und geschmeidig zugleich, fast wie die eines Raubtiers. Was für ein Mann war aus ihm geworden! Noch nie war mir aufgefallen, wie blau seine Augen waren, blauer als mein Kleid, blau wie ein eiskalter, tiefer Bergsee. Lässig blieb Heinrich vor dem Tisch stehen und ließ seinen Blick über die Gesellschaft schweifen. Plötzlich wünschte ich mir, dass er mich ansah, und als seine Augen tatsächlich kurz auf mir ruhten, schlug ich die meinen nieder. Ob er überhaupt bemerkte, dass auch ich erwachsen geworden war? Und, ich wagte es gar nicht zu denken – ob er mit mir tanzen würde?
    Endlich nahmen die Musikanten ihre Plätze ein und begannen zu spielen. Der Erste, der mich nach einiger Zeit aufforderte, war Cuno von Gudensberg, ein junger Knappe, der schon seit zwei Jahren am Hof war und den ich gern mochte. Wir begannen mit einem langsamen Reihentanz, bei dem die Paare hintereinander gemessen im Kreis schritten. Es war herrlich. Ab da ließ ich keinen Tanz mehr aus, und selbst bei den schnellen Stücken brachte ich es fertig, nur ganz selten zu stolpern und kaum aus dem Takt zu kommen. Vermutlich lag das am Wein, den ich zwischen den Tänzen durstig trank; er beschwingte mich und nahm mir die Angst. Ach, ich schwebte und war glücklich. Immer wieder sah ich zu Heinrich Raspe hinüber, aber er machte keinerlei Anstalten, mich aufzufordern. Stattdessen stand Ludwig auf und verbeugte sich vor mir. Er achtete in der nächsten Stunde genau darauf, dass er jede von uns Mädchen gleich oft aufforderte – so war er nun einmal, der Gute, er wollte keine zurücksetzen.
    Dann kam der Reigen. Außen tanzten die Männer, innen die Frauen. Die Kreise drehten sich gegeneinander, und jedes Mal, wenn die Schellen erklangen, wandten sich die zufällig gegenüberstehenden Paare einander zu, der Herr nahm die Dame bei der Hand und machte mit ihr eine Reihe von Figuren und Drehungen. Ich traf zuerst auf den alten Kämmerer, der als begeisterter Tänzer bekannt war, dann auf einen unbekannten Ritter aus Ludwigs Gefolge, und dann stand ich auf einmal Heinrich Raspe gegenüber und sah zu ihm auf. Beinahe wäre ich aus dem Tritt gekommen. Er lachte mich an, seine Lippen entblößten dabei eine Reihe makellos weißer Zähne. O Gott, und seine Augen waren aus der Nähe noch blauer, sie blitzten mich an, als ob ihnen gefiele, was sie da sahen. Er verbeugte sich, ohne den Blick von mir zu wenden, und ich nahm seine Hand. Die Berührung traf mich wie ein Blitz, ließ mich erschauern, etwas durchströmte mich heiß und wild. Ich tanzte wie im Nebel, spürte nicht mehr den Boden unter meinen Füßen, sah nur ihn. Dann kam der Griffwechsel. Er drehte sich zur Seite, neigte den Kopf und bot mir die andere Hand. Ich streckte zierlich die meine aus – und erstarrte mitten in der Bewegung.
    An seinem linken Mittelfinger glänzte etwas: ein Ring. Ein einfacher silberner Reif, der mir nur allzu gut in Erinnerung war, trotz der vielen Jahre, die seither vergangen waren. Es war der Ring, den sein Vater getragen hatte. Ich spürte, wie mein ganzer Körper sich versteifte, und natürlich, ich stolperte. Heinrich fing meine Hand auf und hielt mich, seine Finger schlossen sich fest um meine – und da war es wieder. Dieses glühendheiße Brennen. Dieses unheimliche Gefühl, das mir mit einem Mal den Atem nahm. Dieser Ring musste im Höllenfeuer geschmiedet worden sein. Zum zweiten Mal brannte er sich ein in meine Haut, es ging mir durch und durch, ich hätte beinahe aufgeschrien. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wieso trug Heinrich diesen Ring? Was hatte er zu bedeuten? Warum spürte ich diese Gluthitze? Doch dann sah ich wieder Heinrich in die Augen. Ich zwang mich zu einem Lächeln und tanzte weiter, immer weiter, endlos weiter, bis die Musik aufhörte. Da riss ich mich los und floh.

Aus der Thüringer Chronik des Adam von
Ursinus über Landgraf Ludwig IV.
    … Er war nicht zu lang und nicht zu kurz und hatte ein schön lieblich Antlitz. Er war fröhlich, gütig, schamhaft wie eine

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