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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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und ihn ausgiebig kraulten. Ich tätschelte ihm den Kopf – dazu brauchte ich mich gar nicht zu bücken, denn er reichte mir bis zur Hüfte.
    Und dann sah ich ihn. Er ging dicht an der Mauer des Wirtschaftsgebäudes entlang, dort, wo es am dunkelsten war. Sein schwarzer Kapuzenmantel bauschte sich im Wind, und ich dachte erst, es sei einer der beiden Kapläne, die mit Gräfin Jutta angekommen waren. Doch dann führte ihn sein Weg an einem brennenden Kienspan vorbei, und ich sah sein Gesicht. Ich erkannte ihn sofort: Wido. Seine Narbe leuchtete weiß im rötlichen Licht der Fackel. Einen kurzen Atemzug lang wandte er sich mir zu, und unsere Blicke trafen sich, meiner voll Schreck, seiner durchdringend und stechend, als ob er mich durchbohren wollte. Ich schlug die Augen nieder, und als ich wieder aufsah, war er fort. Mir war, als sei ich einem Gespenst begegnet.
     
    Was wollte er wieder hier? Der alte Landgraf war tot, warum also war Wido zurückgekommen? Ich fror plötzlich, ein jäher Schauer jagte mir über den Rücken. Inzwischen wusste ich, dass er so etwas wie ein Abtrünniger war. Sophia hatte sogar einmal gesagt, er sei schuld am schrecklichen Tod ihres Gatten. Und auf einmal war die Angst wieder da, die ich damals bei der Ketzermesse empfunden hatte. Lag es an dem merkwürdigen Gottesdienst, dass der Landgraf damals verrückt geworden war? Hatte Wido tatsächlich etwas mit seinem Tod zu tun? Und dem seines ältesten Sohnes? Mein Gott, lag ein Fluch auf dem Haus der Ludowinger? Lieber Herr Jesus, beschütze mich, betete ich stumm.
    Heute noch frage ich mich manchmal, ob ich damals hätte verhindern können, dass Wido wieder seinen unseligen Einfluss auf die Landgrafenfamilie geltend machte. Wenn ich meiner Ziehmutter erzählt hätte, dass Wido wieder da war, wäre manches dann anders gekommen?
    Aber es ist müßig, mit der Vergangenheit zu rechten. Elisabeth hätte wohl gesagt, ich hätte ohnehin nichts anderes tun können als das, was Gottes Wille war. Sie sah alles im Leben als himmlische Fügung, alles Gute und alles Schlechte. Mir ist dies immer schwergefallen, weil ich daran glaube, dass jeder Mensch für sein Handeln selber die Verantwortung übernehmen soll. Ja, vielleicht hätte ich zur Landgräfin gehen müssen. Aber ich hatte einfach zu große Angst. Ich kann es heute nicht mehr ändern. Jedenfalls, als Wido weg war, rannte ich, so schnell ich konnte, in die Sicherheit der Frauenkemenate zurück und blieb stumm.
     
    Eine Woche später war Ludwig wieder im Land, und das große Fest konnte endlich stattfinden. Wir Mädchen putzten uns mit Frau Juttas Hilfe heraus, selbst Elisabeth ließ sich von unserer Begeisterung anstecken! Ich meine fast, sie wollte sich damals schönmachen nur für Ludwig. Sogar zu weiten rotsamtenen Schmuckärmeln ließ sie sich überreden und zu einem Schapel mit kleinen goldenen Röschen, das allerdings etwas schief auf ihrer kaum zu bändigenden Lockenfülle saß. Agnes hatte einen edlen silbergrauen Surkot ausgesucht, der gut zu ihren Augen passte. Guda trug ein dunkelgrünes Kleid mit hellen Ärmeln, und ich, ich fand mich schön wie nie in einer kornblumenblauen Kotte mit besticktem Überwurf. Mein Haar ließ ich glatt und offen bis auf die Hüften fallen, nur ein dünnes Seidenbändchen hielt es aus meiner Stirn. »Hei, was seid ihr für ein minniglicher Anblick!«, rief die Markgräfin, als wir alle geschmückt und angekleidet vor ihr standen. »Die jungen Herren werden sich beim Tanz um euch reißen!«
    Im Saal wies uns der Hofmeister einen Platz am Fürstentisch zu, links von Ludwig und der Landgräfin. Zu seiner Rechten saßen seine beiden Brüder mit ihren Freunden. Ludwig hatte sich im Lauf der letzten Monate verändert. Er war zwar ernst und still wie immer seit dem Tod seines Vaters, aber er hatte an Selbstbewusstsein und Stärke gewonnen. Das hatte der Krieg bewirkt, und die Zeit am Königshof. Aufrecht saß er da, einen breiten Reif um die Stirn, der sein blondes, welliges Haar zurückhielt. Mit einem artigen Trinkspruch eröffnete er das Fest, und ich bemerkte, wie liebevoll Elisabeth ihn dabei ansah.
    Wir Mädchen waren wegen der Tanzerei so aufgeregt, dass wir all die köstlichen Sachen, die man uns kredenzte, kaum anrührten. Nicht einmal von den leckeren Schnepfen in Weichselsoße, die ich sonst so liebte, brachte ich mehr als ein Brüstchen hinunter.
    Und dann trat er in die Hofstube: Heinrich Raspe.
     
    Ein Jahr war er fort gewesen nach dem Tod seines

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