Die Tore des Himmels
Staufer und Welfen miteinander um die Macht im Reich gekämpft, ich kannte es gar nicht anders. Meine Eltern waren ein Opfer dieser Auseinandersetzung geworden. Und jetzt hatte dies alles ein Ende gefunden, ein dauerhafter Friede würde kommen, mit Gottes Hilfe. Gerade Thüringen war in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder Schauplatz von Kämpfen gewesen, und so war die Erleichterung der Menschen riesengroß. Überall brannten Freudenfeuer, in den Dörfern tanzten die Bauern. Wir rechneten jeden Tag damit, dass Ludwig heimkehren würde, und Sophia ordnete an, Vorbereitungen für ein Fest zu treffen, das erste nach des alten Landgrafen Tod.
Wir Mädchen fanden die Aussicht auf das große Ereignis herrlich, und unsere Freude wurde noch vergrößert dadurch, dass wir erstmals Tanzunterricht bekamen. Es war ein Glück, dass Sophias älteste Tochter Jutta, die mit dem Markgrafen von Meißen verheiratet war, zu Besuch auf die Neuenburg kam. »Was!«, hatte sie ausgerufen, »ihr Mädchen könnt nicht tanzen?«
Wir schüttelten alle die Köpfe, und die Landgräfin meinte, das habe ja wohl noch Zeit. »Aber Mutter«, erwiderte Jutta und zwinkerte uns zu, »sieh dir doch diese hübschen Dinger an! Bald wirst du hier einen Minnehof haben, und edle Ritter werden um sie werben! Da sollen sie wohl noch im Ringelreihen umgehen?«
»Ach, Mutter, bitte«, bat Agnes mit Unschuldsmiene, »lehre uns doch das Tanzen!«
»Ich!« Sophia hob in gespieltem Entsetzen die Hände. »Das fehlte noch, wo mich mein Kreuz ohnehin genug plagt! Nein, Jutta, du bist die Richtige dafür. Dann hast du wenigstens eine Aufgabe in der Zeit, die du bei uns verbringst.«
Die Markgräfin sorgte dafür, dass einer ihrer alten Freunde, Wirich von Tautenberg, uns auf der Laute oder Flöte begleitete, und dann ging der Unterricht los. Zu unserer Überraschung war es Guda, die stille graue Maus Guda, die am schnellsten lernte. Wie eine Feder schwebte sie über die Dielen. Auch Agnes stellte sich nicht schlecht an, und sogar Elisabeth vergaß beim Tanz alle Frömmelei. Ihr ungarisches Temperament schlug wieder einmal durch, und manchmal hüpfte und sprang sie wie ein wildes Fohlen. Nur ich tat mich schwer. Im Kopf hätte ich es ja gekonnt, wusste die Schritte, fühlte mit dem Takt der Lieder – aber da war mein schlechtes Bein! Es machte einfach nicht, was ich wollte. Immer wieder kam ich aus dem Gleichgewicht, natürlich an den wichtigen Stellen. Bei den langsameren Schreittänzen ging es noch ganz gut, aber wenn die Musik schneller wurde, wenn Drehungen kamen, kleine Sprünge oder Aufstampfen mit dem Fuß, gelang es mir oft nicht, die Schrittfolge einzuhalten. Ich war so enttäuscht und wütend, dass ich weinte und mit der Faust gegen Hüfte und Oberschenkel schlug, aber das half natürlich gar nichts. Ich wollte schon aufgeben, aber Frau Jutta bestand darauf, dass ich mit den anderen weiterübte, und am Schluss wurde ich ganz geschickt darin, kleine Wackler zu vertuschen oder beim Hüpfen ein bisschen zu schummeln. Eine Tänzerin würde ich nie werden, aber ich gewann wenigstens so viel Sicherheit, dass ich es wagen konnte, mich zur Musik zu bewegen. »Denk dir nichts«, tröstete mich die Markgräfin, »die meisten Männer stellen sich beim Tanzen ganz dumm und sind völlig beschäftigt damit, selber keine Fehler zu machen. Die würden nicht einmal merken, wenn du drei Beine unter dem Kleid hättest.« Ich kicherte, aber es gab mir schon einen Stich. Mein Herz wurde schwer. Kein Erbe, kein Vermögen, aber dafür ein lahmes Bein – ich war weiß Gott keine Braut, die sich ein junger Ritter wünschte. Selbst wenn mir Elisabeth zu einer Aussteuer verhalf – das Hinken konnte sie mir nicht wegbeten. Je älter ich wurde, desto schlimmer empfand ich meine Behinderung. Agnes hatte schon recht: Mich würde nie jemand lieben.
Am nächsten Tag lief ich alleine über den Burghof, vorbei am Zeughaus und der verräucherten Schmiede. Ich wollte zur meiner alten Vertrauten, der Hühner-Els, die mich immer tröstete, wenn ich Zuspruch brauchte. Es wurde schon dunkel. Schlack tappte schwanzwedelnd zu mir her, der große braune Hund, der das Brunnenrad antrieb. Tagaus, tagein trabte er mit hechelnder Zunge in seinem Rad los, sobald jemand Wasser brauchte – so trieb er die Welle an, um die sich das Seil wand, und der gefüllte Eimer wurde hochgezogen. Die Arbeit machte ihm offensichtlich Freude, nicht zuletzt, weil ihm die Mägde immer Leckerbissen zusteckten
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