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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Geschäft und machen einen schlechten Ruf, und dann geben die Leute nichts mehr. Es gibt ein großes Geschrei, vorne biegt schon der Büttel um die Ecke und brüllt von weitem: »Gesindel, elendiges! Ich sperr euch alle in den Stock, da fressen euch die Ratten, erbärmliche Brut, die ihr seid!«
    Alle rennen oder hinken weg, auch ich und der Michel. Als wir nach einer Weile stehen bleiben, weil wir ganz außer Atem sind, hält Michel lachend eines der beiden Wolltücher hoch. Es ist in dem ganzen Durcheinander auf den Boden gefallen, und er hat es sich geschnappt.
     
    Dann kommt die Fastenzeit, und zum Zeichen dafür hängen sie am Aschermittwoch in der Nikolaikirche das Hungertuch auf. Jetzt kann man das Kruzifix mit dem Gekreuzigten nicht mehr sehen bis zum Karsamstag. Michel fragt, was das soll, mit dem Hungertuch. Wir haben doch sowieso nie was Ordentliches zu essen, da braucht uns gar keiner vorschreiben, dass wir fasten sollen. Blöder Schmachtlappen!
    An dem Tag kommen wir heim, und die Mutter weint. Der Vater sitzt einfach so am Tisch und schaut wie ein geprügelter Hund.
    »Was hat sie denn?«, fragt der Michel.
    Vater guckt schuldbewusst. »Ihr kriegt wieder ein Geschwisterchen.«
    »Du hast gesagt, dass du aufpasst«, greint die Mutter. »Du hast’s versprochen.«
    Vater rollt die Augen zum Himmel. »Ja, ich bin schuld, Mechtel. Du musst’s mir nicht immer wieder sagen.«
    »Wie sollen wir bloß noch ein hungriges Maul stopfen?« Mutter ist ganz verzweifelt.
    Michel und ich schleichen uns aus der Stube. Wir wollen auch kein neues Geschwisterchen, uns reicht schon die Ida.
    »Wie kriegt man Kinder?«, fragt mich Michel, als wir draußen im Hof sitzen.
    »Weiß nicht. Die kommen aus dem Bauch raus.«
    »Und wie kommen sie da rein?«
    »Keine Ahnung. Das macht der Vater.«
    Ich habe da schon einen Verdacht. Wenn der Vater nachts glaubt, dass wir schlafen, dann legt er sich manchmal auf die Mutter drauf und wackelt auf ihr rum und schnauft so merkwürdig. Vielleicht geht das so mit den Kindern.
     
    An Ostern muss es Eier geben, anders geht es ja gar nicht, und weil wir keine haben, läuft die Mutter zum Katharinenkloster. Da läuten sie jeden Mittwoch das Armenglöckchen und geben Almosen, am Mittwoch vor Ostern eben Eier. Sechs Stück hat die Mutter heimgebracht. »Rührt mir die ja nicht an«, sagt sie zu Michel und mir. »Die sind für Ostersonntag!« Das gibt ein Fest, denke ich mir und passe auf, dass der Michel auch ja keines stibitzt.
    Am Ostersonntag gibt es dann doch kein Fest, weil am Gründonnerstag kommt der Vater nicht von der Arbeit heim. Die Mutter schickt mich zum Suchen, aber in der Seilerei ist er nicht, und sonst auch nirgends. Er kommt erst heim, als wir längst im Bett liegen, nur Mutter sitzt am Tisch und hat ein Talglichtlein brennen. Er schwankt und riecht nach Bier und grummelt vor sich hin. Als er sich auf den Hocker beim Herd fallen lässt, tut es einen Schlag und ein Bein bricht ab und er liegt auf dem Boden. Michel und ich kichern, aber dann merken wir, dass etwas nicht stimmt. Mutter hilft dem Vater auf und führt ihn zum Bett. »Dreckskerle«, lallt er und fuchtelt mit den Armen, »alles Dreckskerle. Hab mir nichts zuschulden kommen lassen, nichts! Die bring ich um, die Herrgottsakramentsarschlöcher!«
    »Versündig dich nicht«, schimpft die Mutter und hilft ihm ins Bett.
    »Du halt bloß dein Maul!«, sagt der Vater. Dann fällt er nach hinten um und fängt an zu schnarchen.
    Am nächsten Morgen erzählt er uns, dass er keine Arbeit mehr hat. »Ich bin das ärmste Schwein«, sagt er.
     
    Jetzt ist Ostern vorbei. Wir haben die Eier gegessen, aber ein Fest war es nicht. Der Vater geht jetzt in der Frühe immer zum Nikolaitor. Da steht er dann mit den anderen Taglöhnern und wartet, ob einer vorbeikommt und ihm Arbeit gibt. Meistens ist er aber bald wieder da, weil ihn mit seinem kranken Bein sowieso keiner nimmt. Das ist eigentlich schön, da hat er nämlich Zeit für den Michel und mich. Er kennt viele Geschichten, die erzählt er uns dann. Lustige und traurige, unheimliche und spannende. Wenn man Geschichten hat, dann friert einen nicht, und dann braucht man auch kein Gerstenmus und kein Stück Brot. Dann denkt man auch nicht dran, dass die Mutter heimlich vom Tisch springt, wenn sie glaubt, dass keiner da ist. Und dass sie widerliches Zeug trinkt, das sie aus den Nadeln vom Sadebusch zusammenbraut, und dann kotzt.
    Ich gehe zu ihr und sage ihr, dass sie meinen silbernen

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