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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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um die Ecke des Treppenhauses bog – war es eine Fügung des Himmels? –, stieß ich unvermutet mit dem Mann zusammen, von dem ich in meinen Nächten träumte: Heinrich Raspe.
    Seit unserem Tanz vor einiger Zeit hatte ich ihn nicht mehr getroffen. Und jetzt fing er mich in seinen starken Armen auf.
    »Verzeihung«, murmelte ich und wünschte mir inständigst, er würde mich nie mehr loslassen.
    Er ließ seine Hände auf meinen Hüften ruhen. »Nicht doch«, lächelte er. »Ich danke für das Vergnügen.«
    Sein Blick ruhte erst auf meinem Gesicht und wanderte dann abwärts zu meinen Brüsten. O Gott, zum ersten Mal wurde mir klar, dass so ein Mann eine Frau ansah. Und diese Frau war ich!
    Ganz verwirrt löste ich mich von ihm und rannte in die Kemenate. Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich als Frau, und ich fühlte mich schön!
     
    Aber natürlich würde ich nie eine solche Schönheit werden wie Eilika! Nach Raimunds Aufbruch ins Heilige Land war sie als Sophias Kammerzofe am Hof geblieben, und so sah ich sie zu meinem Leidwesen häufig. Ich mochte sie nicht, kein Wunder, schließlich hatte sie mir meinen geliebten Ritter vor der Nase weggeschnappt. Ich fand sie eitel, berechnend und dumm. Aber ihr Liebreiz und ihre Anmut waren jeden Tag Gesprächsstoff bei Hof, ob bei den von ihr bezauberten Männern auf dem Turnieranger oder den neidischen Damen im Frauenzimmer. Sie brauchte keine Bleichpasten, hatte keine Haarfärbemittel nötig. Sie bewegte sich mit einer natürlichen Anmut, um die ich mit meinem Hinkebein sie glühend beneidete. Ihr Lachen klang wie Harfengezirp. Ihre Augen waren von einem solch leuchtenden Grün, dass sogar eine Frühlingswiese dagegen verblasste. Alle jungen Ritter schwärmten für sie. Und was tat sie? Anstatt keusch und sittsam auf ihren Ehemann zu warten, der in Outremer für die Befreiung Jerusalems focht, machte sie jedem schöne Augen, vom Ritter bis hinunter zum Pferdeknecht.
    Ich sehe sie noch genau vor mir, an diesem Winterabend in der großen Stube des Frauenzimmers. Draußen wirbelten die Flocken; die Pergamente und Häute, die man in die Fenster gespannt hatte, waren kältestarr und voller Eisblumen. Ich gesellte mich zu den anderen, die gemütlich im Licht dicker gelber Wachskerzen um den Kamin saßen, in dem ein wärmendes Feuer hoch aufloderte. Es gab Zimtkringel und heißen Met, ausgebackene Weinbeerlein und scharfen kandierten Ingwer. Die Schlotheimerin, die eine begnadete Geschichtenerzählerin war, lenkte mich von der verwirrenden Erkenntnis ab, die ich gerade erfahren hatte. Sie erzählte die wunderbar traurige Legende der beiden Liebenden Tristan und Isolde. Neben ihr saß Eilika. Wie so oft trug sie einen Surkot in ihrer Lieblingsfarbe Rot; das volle, dunkle Haar floss ihr wie eine Woge offen über die Schultern. Gerade war die Schlotheimerin an der Stelle angekommen, wo die unglückliche Isolde den Leib ihres toten Liebsten mit Küssen bedeckt, da klopfte der Türsteher mit seiner Hellebarde auf und kündigte den Landgrafen an. Alle waren überrascht; Männerbesuche im Frauenzimmer kamen ja nicht so oft vor. Außerdem wussten wir, dass Ludwig gerade erst mit dem letzten Tageslicht aus Mainz zurückgekehrt war, wo er mit dem Fürstbischof, dem alten Widersacher seines Vaters, zusammengetroffen war. Die verheirateten Frauen setzen rasch ihre Hauben auf oder zogen die Schleier über den Kopf. Das war ein Gebot von Anstand und Sitte – kein Mann außer dem eigenen darf schließlich das Haar eines Eheweibs sehen. Nur Eilika schien ganz vergessen zu haben, dass sie keine Kopfbedeckung trug. Oder dass sie ein Eheweib war. Oder war es etwa Absicht?
    Jedenfalls trat Ludwig mit einem fröhlichen Gruß ein und umarmte seine Mutter aufs herzlichste. Er setzte sich in den Kreis der Frauen, erzählte von seinem Aufenthalt am Rhein, richtete allseits Grüße aus und ließ sich einen Becher süßen Mets schmecken. Dann sprang er plötzlich auf und holte ein verschnürtes Stoffpäckchen herein, das er mit geheimnisvoller Miene öffnete. »Das hab ich euch mitgebracht«, rief er und hielt ein seltsames Ding hoch. Es war die Figur eines dicken, hockenden Mannes, so groß wie ein Menschenkopf. Der Hockende war schwarz und schwer und aus Gusseisen, und er hielt sich seinen fetten Bauch mit beiden Händen. Den Mund hatte er gespitzt, als wolle er ein Liedchen pfeifen, zwischen den Lippen war ein kleines rundes Loch.
    Nach einigen Ohs und Ahs wagte Agnes zu fragen: »Was soll denn

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