Die Tore zu Anubis Reich
Krummdolches gelegt, den er stets in seiner roten Leibbinde trug, und der Arzt mußte sich ein Lachen verbeißen. »Wenn du darauf bestehst. Aber wenn ich ihn behandle, wirst du gehen müssen.«
»Warum?«
»Weil«, sagte der Arzt und wußte, daß dieser Vorwand den Jungen beeindrucken würde - dem englischen Lord drinnen würde er freilich Anlaß geben, nach seinen Pistolen zu grabbeln -, »Medizin Magie ist, und die Anwesenheit einer dritten Seele im Krankenzimmer kann die heilende Zauberei in schädliche verwandeln.«
Der Junge schmollte, gab aber nach.
»Dann komm mit!«
Sie gingen ins Haus und durch die Dielen zu dem türlosen Zimmer am Ende, und obwohl die dicken Steinwände die Luft im Innern kühl gehalten hatten, war der junge Mann, der auf der schmalen eisernen Bettstatt lag, in Schweiß gebadet, und sein lockiges schwarzes Haar klebte ihm an der Stirn. Wie Nicolo gemeldet hatte, wälzte er sich unruhig von einer Seite zur anderen, und obgleich seine Augen geschlossen waren, bewegte er murmelnd die Lippen und zog die Stirn in Falten.
»Du mußt jetzt gehen«, sagte der Arzt.
Nicolo ging zur Türöffnung, wo er stehenblieb und mißtrauisch die seltsame Sammlung von Gegenständen auf dem Nachttisch beäugte: eine Lanzette, eine Schale, farbige Flüssigkeiten in kleinen Glasflaschen, eine Drahtschlinge mit einer aufgezogenen Holzperle. »Eins muß ich Ihnen sagen, bevor ich gehe«, erklärte er mutig. »Viele von den Leuten, die Sie wegen dieses Fiebers behandelt haben, sind gestorben. Am Montag ist Ihnen der Engländer George Watson durch die Finger geglitten.« Er machte eine Handbewegung zu dem Mann auf dem Bett. »Der padrone sagt, Sie seien eine größere pericolo als das Fieber selbst. Und darum werde ich Ihnen dies sagen: sollte auch er einer Ihrer vielen Mißerfolge sein, werden Sie ihm am selben Tag in den Tod folgen. Capisce?«
Zorn über die anmaßende Frechheit des Jungen kämpfte in den zerklüfteten Zügen des Arztes mit Erheiterung. »Laß uns allein, Nicolo!«
»Geben Sie also gut acht, Dr. Romanelli!« sagte Nicolo, machte kehrt und schritt durch die Diele hinaus.
Der Arzt tauchte einen Becher in das Wasserbecken auf dem Nachttisch, entnahm einem Beutel an seinem Gürtel ein paar Prisen trockener zerdrückter Kräuter, tat sie in die Tasse und rührte mit dem Zeigefinger um. Dann schob er einen Arm unter die Schultern des Delirierenden, hob ihn zu einer halb sitzenden Stellung an und setzte ihm den Becher an die murmelnden Lippen.
»Trinkt aus, Milord!« sagte er mit leiser Stimme und neigte den Becher. Der Mann im Bett trank reflexhaft, zog aber die Brauen zusammen, und als Dr. Romanelli den leeren Becher wegnahm, hustete der Kranke und schüttelte den Kopf wie eine Katze, die einen widerwärtigen Geruch gewittert hat. »Ja, es schmeckt bitter, nicht wahr, Milord? Vor acht Jahren mußte ich selbst einen Becher davon leeren, und ich entsinne mich noch heute des Geschmacks.«
Der Arzt stand auf und trat rasch an den Tisch, denn nun kam es auf die Zeit an. Er schlug Funken in ein kleines Häuflein Zunder in einer Schale, bekam eine Flamme und hielt seine besondere Kerze hinein, bis der Docht eine runde Flammenkorona trug, dann steckte er sie in ihren Halter und blickte ernst ins Licht. Die Flamme leckte nicht nach oben, wie eine gewöhnliche Kerzenflamme es getan hätte, sondern strahlte gleichmäßig in alle Richtungen, so daß sie ein kugelförmiges Licht war, einer kleinen gelben Sonne vergleichbar, und ihre Wärme nach unten ebenso ausstrahlte wie nach oben, so daß die Hieroglyphen an der Kerze selbst in den Hitzewellen zitterten und sich bewegten wie Rennpferde, die am Start auf das Hochschnellen der Schranke warten.
Nun kam es nur darauf an, daß sein Ka in London seinen Teil richtig ausführte. Er sprach in die Flamme. »Romany?« Eine winzige Stimme antwortete. »Bereit. Das Faß Paut ist frisch und auf die richtige Temperatur erwärmt.«
»Nun, das hoffe ich. Der Weg ist für ihn bereitet?«
»Ja. Die Bitte um eine Audienz bei König Georg wurde Anfang dieser Woche entgegengenommen und zustimmend beschieden.«
»Gut. Dann wollen wir diesen Kanal ausrichten.« Romanelli wandte sich der Drahtschlinge zu, die in einem Klotz aus Hartholz verankert war, und schlug sie mit einem kleinen Metallstab an. Sie erzeugte einen anhaltenden, reinen Ton, der einen Augenblick später von einem Ton aus der Flamme beantwortet wurde. Die antwortende Note war höher, so daß er die
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