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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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verdüstert. Bitte verzeihen Sie die Unsicherheit, mit der die Krankheit mich plagt - kennen wir einander?«
    Nach einer langen Pause, in welcher der weiterhin lächelnde junge Mann eine Art von stellvertretender Sorge verspürte, antwortete der andere verneinend, und er fuhr erleichtert fort. »Falls Sie sich wundern, warum ein Angehöriger des Reichsadels sich in einem Lokal wie diesem aufhalten und mit gewöhnlichen...«
    Der Neuankömmling unterbrach den Vortrag mit einer Frage, die zum Erschrecken des jungen Mannes nicht gedämpft klang: »Wie kommen Sie mit Childe Harolds Pilgrimage voran?« fragte der Fremde. »Ach, verzeihen Sie, gegenwärtig ist es noch Childe Byrons Pilgrimage, nicht wahr? Warten Sie - ›Vormals auf Aidions Insel lebt' ein Jüngling, der nicht an tugendhaften Werken Freude fand...‹ Wie geht es von da weiter?«
    Aus irgendeinem Grund trafen diese Worte den jungen Mann wie ein Guß Eiswasser, und wie sie seinem Gehör zwangsweise zur Klarheit verholfen hatten, wirkten sie nun auf sein Sehvermögen; seine Umgebung, bis dahin eine Anhäufung angenehm verschwommener Formen und Farben, sprang ihn unversehens in schrecklicher Klarheit und Schärfe an, und zum erstenmal seit vier Tagen sah er ein Gesicht deutlich.
    Und das Gesicht des Mannes, der zu ihm gesprochen hatte, war geeignet, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen - auf eindrucksvoll breiten Schultern und einem muskulösen Hals ruhend, eingerahmt von einer dichten blonden Mähne und einem Bart, war es hager und wie von unglaublichen und schrecklichen Geheimnissen zerfurcht und gezeichnet.
    Der nicht mehr lächelnde junge Mann wußte durch Instruktion, was in dieser Situation zu tun war. »Wenn alles ringsumher schärfer und lauter erscheint«, hatte Romany ihm wiederholt eingeschärft, »und du verlierst den schützenden Schleier, den meine Anleitung dir gibt, kehrst du unverzüglich hierher ins Lager zurück, bevor die Leute auf der Straße dich wie einen tollwütigen Hund erschlagen...« Aber die Worte des Bärtigen hatten etwas anderes ausgelöst, etwas Wichtigeres als Romanys Befehl. Byron hörte sich selbst sagen: »›In Raserei und rohem Schwelgen vertat er seine Tage, mit lautem Frohsinn peinigt' er das müde Ohr zur Nacht.‹« Eine Menge Erinnerungen schienen durch diese irgendwie sehr vertrauten Wendungen wachgerufen und prickelten wie das zurückkehrende Blut in einem eingeschlafenen Bein; er erinnerte, sich mit Fletcher und Hobhouse an Bord der Brigg Spider befunden zu haben, an die Albaner in Tepelena, mit ihren weißen Faltenröcken und den goldbesetzten Umhängen, silberbeschlagene Pistolen und Dolche in den Gürteln... an die trockenen gelben Hügel und den tiefblauen Himmel von Morea, und an etwas über ein Fieber, und... einen Arzt? Sein Gehirn schlug die Tür zu diesen Erinnerungen beinahe unhörbar zu, aber seine Stimme fuhr fort: ›»O weh! In Wahrheit war er ein schamloser Wicht, der Zecherei und niederen Freuden ergeben; dem Schlechten spendet' Beifall er, das Gute war ihm Schrecken...‹«
    Eine Hand schien ihm die Kehle zuzudrücken, und er wußte, daß es Dr. Romany war. In seinem Kopf dröhnte der Befehl des kahlköpfigen Vormunds: »Kehre augenblicklich hierher ins Lager zurück!«
    Er stand auf, blickte verwirrt in die Runde der anderen Zecher in der niedrigen Schankstube, dann murmelte er eine Entschuldigung, hinkte zur Tür und hinaus auf die Straße.

    Doyle sprang auf, doch machte ihn seine ungewohnte Körperhöhe schwindlig, und er mußte sich am Tisch festhalten. Mein Gott, dachte er, als er tief Luft holte und taumelnd die Verfolgung des jungen Mannes aufnahm, es ist wirklich Byron - er kannte Childe Harold, und niemand in England wird es vor dem übernächsten Jahr zu lesen bekommen. Aber was fehlt ihm? Und warum stimmt die geschichtliche Überlieferung nicht? Wie kann er hier sein?
    Er erreichte die Tür und stützte sich am hölzernen Rahmen, bevor er auf das Pflaster hinaustrat. Er konnte Byrons dunklen Lockenkopf zur Rechten durch die Menge der Passanten hüpfen sehen und folgte ihm mit unsicheren Schritten. Es war bedrückend, daß es ihm nicht gelingen wollte, diesen zugegebenermaßen überlegenen Körper so anmutig und kraftvoll zu beherrschen, wie es Benner vermocht hatte.
    Die Passanten schienen bedacht, dem schwankenden, wildblickenden, löwenköpfigen Riesen auszuweichen, und vor der nächsten Schenke holte er Byron ein; er faßte ihn ohne Umstände am Ellbogen und steuerte ihn mit sanfter

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