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Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
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dramatisch. Statt mit einem lautlosen Donnerschlag zu erscheinen, schlich die Sonne mit einem stummen Gähnen herauf. Statt in einer glorreichen Explosion von Licht zu erblühen,
öffnete sie träge ihr goldenes Auge. Statt einen neuen Tag anzukündigen, zu reinigen, wirkte sie langsam, schwerfällig … gelangweilt.
    Vielleicht sprach Asper deshalb heute keine Gebete zu Talanas.
    Seit sie den Tempel verlassen hatte, war es ihr zur Gewohnheit geworden, bei Sonnenaufgang dem Heiler dafür zu danken, dass Er sie durch die Nacht geführt hatte. Dann bat sie um Sicherheit für ihre Familie, ihre Priesterkollegen, ihren Tempel. Die Gebete für ihre Gefährten rangierten üblicherweise an letzter Stelle, und ihre Fürbitten ordnete sie immer in derselben Reihenfolge, für Lenk, Dreadaeleon, Kataria und Gariath. Ob sie auch eine Fürbitte für Denaos anhängte, hing von ihrer jeweiligen Stimmung ab.
    Heute war sie nicht in der Stimmung, um göttliches Wohlwollen zu bitten. Ihre Lippen bewegten sich nicht. Sie konnte heute Morgen nicht beten, weil die Morgendämmerung es nicht geschafft hatte, sie von ihren Erinnerungen an die Gewalt des Vortags reinzuwaschen.
    Visionen von kreischenden Schwingen zogen durch ihr Bewusstsein, Szenen von den Gräueltaten, die sich im Bauch des Schiffes ereignet hatten. Selbst als sie versuchte, diese Bilder von ihren Augen zu brennen, indem sie direkt in die Sonne blickte, sah sie sie noch. Das Morgengrauen hatte es nicht eilig, ihr zu helfen.
    Sie sah sie, die Szenen, die sich immer und immer wieder vor ihrem inneren Auge abspielten. Das Froschwesen, das sich auf sie stürzte, das weiße Aufblitzen des Dolches und nadelspitze Zähne. Ihr Stab war zu weit entfernt, lehnte nutzlos an der Wand; sie wusste nicht, wann sie ihn aus der Hand gelegt hatte. Sosehr sie sich auch wünschte, nicht daran zu denken  – sie erinnerte sich, wie sie ihre linke Hand hob, wie sich ihre Muskeln verkrampften, wie Tränen in ihren Augen schimmerten, als sie an dem Dolch vorbei die Kreatur an der Kehle packte …
    NEIN! Sie kniff die Augen zusammen. Hör auf! Hör auf! Hör
auf. Hör auf, daran zu denken! Konzentriere dich auf den Sonnenaufgang! Konzentriere dich auf die Sonne!
    Das erwies sich als schwierig, weil die Sonne erst ein Haarbreit über den Horizont lugte. Die Morgendämmerung hatte ihren Geist nicht gereinigt. Die lange, schlaflose Nacht hatte ihr keine Erleichterung gebracht. Der neue Ärmel, den sie sich an ihre Robe genäht hatte, spendete ihr keinen Trost.
    Und als sie jetzt von dem Sonnenaufgang zu dem silbernen Anhänger in ihrer Hand blickte, sprach sie keine Gebete. Sie sagte nur ein einziges Wort.
    »Warum?«
    Das heilige Symbol antwortete nicht. Die Augen des Phönix, winzige eingravierte Mulden, starrten auf den Sonnenaufgang, als wäre das genug. Asper biss sich auf die Unterlippe, ohne sich die Mühe zu machen, dem metallenen Blick zu folgen.
    »Es ist schon wieder passiert!«, flüsterte sie. »Warum ist es erneut passiert? Warum passiert es immer wieder?«
    Das Medaillon antwortete nicht. Die Sonne stieg noch eine Wimpernbreite höher, und ihr Licht fiel auf das Silber. Die Augen strahlten, und der normalerweise ernste und entschiedene edle Blick verwandelte sich plötzlich, wurde gelangweilt, uninteressiert.
    »Warum antwortest du mir nicht?«
    »Priesterin?«
    Asper begriff, dass sie die letzte Frage lauter ausgestoßen hatte, als sie wollte. Sie schluckte und widerstand dem Impuls, beim Klang der Stimme herumzufahren. Stattdessen zwang sie sich, sich aufzurichten, straffte ihre Haltung im Angesicht des Sonnenaufgangs. Es ging nicht an, unter dem Auge von Talanas verschreckt zu wirken, das war ihr klar.
    »Quillian Guisarne-Garrelle Yanates.« Sie drehte sich um und zwang sich zu einem Lächeln. »Verzeihung … Serrant Quillian Guisarne-Garrelle Yanates, guten Morgen.«
    »Euch auch.« Die Frau besaß eine besondere Fähigkeit,
den unbewegten, harten Blick beizubehalten, während sie respektvoll mit dem Kopf nickte. »Quillian genügt.« Sie räusperte sich plötzlich. »Welcher Titel Euch jedoch am besten gefällt, Priesterin, ist der angemessene.«
    Die Serrant versuchte zu lächeln, was ihr nicht leichtfiel. Das Lächeln glitt nicht wie von selbst über ihr Gesicht, sondern schien hastig aufgesetzt zu werden. Ihre Lippen verzogen sich und verrieten die Anstrengung; die Zähne hatte sie so fest zusammengebissen, als wollte sie Eisen durchtrennen. Sie schien sich eher auf eine

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