Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
verdunkelnden Himmel, bevor sie mit einem Zischen der Gischt versanken. Lenk sah die dunklen, schlanken Schatten von Fischen, die zwischen den herabsinkenden Leichen herumschwammen, kostend an einer knabberten, bevor sie zur nächsten glitten. Er hatte gehört, dass sich schon bald größere, dunklere Fische zu dem Festmahl gesellen würden, sobald sie den Geruch des Blutes witterten. Am Morgen würde kein einziger Fetzen Fleisch mehr übrig sein, der an die Toten erinnerte.
Das Meer ist schon seltsam, dachte Lenk grimmig. Noch vor wenigen Stunden waren die Männer, deren Leichen jetzt im Meer trieben, erbitterte Feinde und wütende Widersacher
gewesen. Jetzt, als sie in einer dunklen, wirbelnden Wolke versanken, waren sie nur Nahrung für die Kreaturen, die nichts von ihnen und ihren Taten wussten, und denen sie auch gleichgültig waren. Am Ende waren sie trotz ihres Mutes und ihrer Wildheit doch nur Futter für die Fische.
»Das ist der Letzte.« Der Erste Maat seufzte, wischte sich die Hände ab und bemerkte wenig erfreut, dass er damit nichts gegen die Blutflecken ausrichten konnte. »Rashodd wurde nach unten gebracht, zusammen mit unseren Jungs.«
Lenk nickte. Rashodd war der Einzige, der am Leben gelassen worden war. Der Rest seiner Mannschaft war schnell exekutiert und über Bord geworfen worden. Nichts war von ihr übrig geblieben als ein gekapertes schwarzes Schiff, ein stechender Geruch und eine blutige Persenning. Sebast sah zu, als seine Männer anfingen, sie aufzurollen.
»Sobald wir ein paar Wischbesen hier oben haben«, sagte er, »könnt Ihr nicht mal mehr erkennen, dass wir alle hier auf diesem Schiff beinahe gestorben wären.« Sein Gelächter klang schal und humorlos. »Ah, wenn ich das noch ein paar Hundert Mal sage, fange ich wohl an, es endlich selbst zu glauben, aye?« Ruhig schob der Seemann die Hände in die Taschen seiner Hose und ging steifbeinig zum Niedergang. »Anständig von Euch, mir zu helfen, die Toten wegzuschaffen, Master Lenk. Und jetzt muss ich Briefe schreiben.«
»Briefe?«
»An die Frauen … die Witwen. Und die Waisen. Das ist eine sehr unerfreuliche Angelegenheit. Ich würde Euch nicht bitten, mir dabei zu helfen.«
Lenk schwieg; es wäre merkwürdig, wenn der Mann ihn darum bäte, aber er würde auf keinen Fall seine Hilfe selbst anbieten. Sebast deutete sein Verhalten richtig und ging über das Deck davon. Erst als der Maat nur noch eine schmale, gebeugte Silhouette vor dem dunklen Eingang des Niedergangs war, schoss Lenk eine Frage durch den Kopf.
»Wie war sein Name?«
»Wessen Name?«, rief Sebast über die Schulter zurück.
»Der des jungen Mannes, der heute gestorben ist.« Lenk bemerkte seinen Fehler und korrigierte sich hastig. »Der von … von dieser Kreatur getötet wurde.«
Sebast zögerte und blickte auf das Holz zu seinen Füßen.
»Moscoff, denke ich … irgendein junger Bursche aus Cier’Djaal. Hat angeheuert, um ein bisschen Silber zu verdienen, als wir das letzte Mal aus diesem Hafen ausgelaufen sind.« Er sah hoch und betrachtete den Abendhimmel. »Ich glaube jedenfalls, dass sein Name Moscoff war. Könnte auch Mossud gewesen sein … oder Suddamoff … Ach, wisst Ihr, ich kann mich nicht mal mehr genau erinnern.« Er lächelte über einen Scherz, den nur er verstand. »Ich kann mich nicht einmal an sein Gesicht erinnern … ist das nicht komisch?«
Lenk lachte nicht. Sebast auch nicht. Die Andeutung des Lächelns verschwand von seinem Gesicht, als er sich umdrehte und in den Bauch des Schiffes hinabstieg.
Erst nachdem der Erste Maat verschwunden war, dämmerte Lenk, dass seine Behauptung, ihre Arbeit wäre erledigt, nicht ganz richtig gewesen war. Es gab noch viele Leichen auf dem Schiff, nur dass diese sich noch bewegten und atmeten.
Die Mannschaft der Gischtbraut schlich ziellos über das Deck, wischte halbherzig mit Wischmopps über Flecken, die nie wieder verschwinden würden, und las herumliegende Waffen auf.
Lenk sehnte sich fast danach, dass sie Witze rissen oder sich gegenseitig beschimpften oder sich mit einem derben Gruß an ihm vorbeidrängten und ihm der Schweißgeruch ihrer Achselhöhlen ins Gesicht wehte. Stattdessen murmelten sie leise vor sich hin, starrten in den dunklen Himmel und machten unverständliche Bemerkungen über das Wetter. Dabei sahen sie sich nicht an.
Er konnte es ihnen nicht verübeln. Ihnen war schwer ums Herz wegen des Todes ihrer Kameraden, und ihr Verstand
bemühte sich zu begreifen, was sie
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