Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
gelernt«, setzte Asper nach. »Wer hat dich gelehrt, einen Bogen abzuschießen? Spuren zu lesen?«
Kataria verspannte sich erneut, und diesmal war es die Art von nervöser Anspannung, die Asper selbst häufig empfunden hatte. Unsicherheit, Zweifel, Furcht. Es schmerzte mehr, als sie erwartet hatte, dass sie Kataria das zumutete. Aber auch ihre Pflicht lag plötzlich klarer vor ihren Augen, als sie es für möglich gehalten hatte.
»Meine Mutter«, erwiderte Kataria. »Aber was ... ?«
»Hast du jemals jemanden getroffen«, fuhr Asper ruhig fort, »der so natürlich kämpft und tötet wie Lenk?« Als Kataria schwieg, presste Asper ihren Rücken gegen den der Shict. »Hast du ihn gesehen, wenn er getötet hat?«
Sie stellte diese Frage nicht in dem kalten, kalkulierenden
Tonfall, den sie eigentlich für angemessen hielt. Es war eine erstickte, bebende Frage, aber sie konnte nichts dagegen tun. All das wurde ihr jetzt erst klar, überraschend und entsetzlich. Aber vielleicht war das gar nicht so schlecht; vielleicht würde es Kataria ja trösten, dass jemand ihr Anliegen teilte, dass jemand versuchte, ihr zu helfen.
Und sie war entschlossen, der Shict zu helfen. Sie wollte Lebewesen helfen, ganz gleich, welche Art von Lebewesen es waren. Aus diesem Grund hatte sie ihr Gelübde abgelegt.
»Ich ... das habe ich«, antwortete Kataria so zögernd, dass Asper wusste, die Shict wurde von denselben Bildern heimgesucht.
»Ich habe alle töten sehen«, flüsterte Asper. »Ich habe mich dazu gezwungen zu erfahren, wie man es macht, falls ... falls ich es selber tun müsste. Denaos prahlt, du frohlockst, Draedaeleon legt eine Verschnaufpause ein, und selbst Gariath nimmt sich die Zeit, einmal kräftig durchzuschnauben. Aber Lenk ... er macht gar nichts. Er sagt nichts, er reagiert nicht, sondern er sieht ... er sieht ...«, die Furcht löste sich von ihrer Zunge, »zufrieden aus. Erfüllt.«
Sie spürte, wie Kataria zitterte, oder vielleicht war sie es auch selbst, denn sie hatte selbst genauso viel Angst, wie sie versuchte, ihrer Gefährtin einzuflößen. Aber vielleicht hatten sie beide auch Grund für diese Angst, sollten sie beide im Angesicht dieser neuen Erkenntnis Angst haben, dass Lenk möglicherweise in Abwesenheit von irgendwelchen Dämonen oder Langgesichtern die größte Bedrohung war.
»Wer sieht so aus?«, fragte sie. »Was kann einen Mann dazu bringen, sich so zu benehmen?«
Ein Trauma? Wahnsinn? Etwas anderes? Was auch immer ihn plagte, was auch immer ihn bedrohte, bedrohte sie alle, das war Asper klar. Und als sie fühlte, wie Kataria zitterte, spürte, wie sie an ihrem Rücken schlaff wurde, wusste sie, dass ihre Freundin es ebenfalls begriff.
»Deine Instinkte waren verwirrt«, sagte Asper leise. »Du wolltest weglaufen, wie jeder andere auch, aber du wolltest
auch helfen, und das können nur sehr wenige von sich behaupten.«
In diesem Wissen jedoch fand Asper Frieden, so verrückt es auch in ihren Ohren klang. Durch Katarias erschlaffenden Körper fand sie die Kraft, sich zu erheben. Im Leiden ihrer Freundin fand sie die Stärke, die es ihr erlaubte, Katarias Hand zu nehmen, eine Stärke, sie zu dem Frieden zu führen, den die Priesterin selbst empfand, eine Stärke, die auch Lenk tragen würde.
Das war ihr Zweck, ihre Pflicht.
»Und wir werden ihm helfen«, sagte Asper und drückte die Hand der Shict sanft. »Es sind nicht die Götter oder ein Instinkt, der uns das tun lässt.«
»Was dann?« Katarias Stimme klang schwach.
»Du«, erwiderte Asper sanft, »wirst es tun, weil du ihn liebst.«
Das war einer der Momente, für die sie gelebt hatte, ein Moment, der in letzter Zeit viel zu selten geworden war. Das Gesicht eines Kindes, dem sie sagte, es würde wieder gehen können. Das angestrengte Keuchen einer frischgebackenen Mutter, der sie mitteilte, dass ihr Baby gesund war. Das feierliche Nicken und traurige Lächeln einer Witwe, die den Segen hörte, den sie über dem Grab ihres Mannes sprach.
Und jetzt, dachte sie, die Umarmung zweier Rassen, die angeblich Feinde waren, der lange Weg, einem Freund zu helfen, sich zu erholen.
Das war es.
Das war ihre Bestimmung.
Das war der Grund.
Sie ließ Katarias Hand los und drehte sich herum. Ihre Gefährtin rührte sich zunächst nicht, aber Asper wartete geduldig. Es würde etwas dauern, es war nicht so leicht. Das war immer so, aber die Belohnung, die auf sie wartete, war umso größer. Also wartete sie, beobachtete, wie Kataria sich
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