Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
ohnmächtig oder im Meer abgetaucht. Auf Sheraptus’ Fingern knisterten blaue Funken, während seine Augen rot loderten.
Draedaeleon begriff, dass er sterben würde. Das Einzige, was er erreicht hatte, war, dass er eine Robe bekleckert hatte. Ein bisschen jedenfalls.
Trotzdem, er lächelte bei dem Gedanken, angesichts dessen,
dass er noch vor wenigen Momenten in einem Koma gelegen hatte, welches allein von dem Blick des Hexers ausgelöst worden war, war dieses Ende gar nicht so übel.
Das einzig Beunruhigende war, dass es so lange dauerte.
Sheraptus’ Gesicht zuckte, und sein Nacken ruckte, als würde eine Mücke in seinem Ohr summen, während er gerade dabei war, die tödliche Elektrizität freizugeben und Draedaeleon zu einem qualmenden Stück Kohle zu verwandeln. Dasselbe Summen jedoch ertönte auch im Kopf des Jünglings und war zu lästig, als dass er noch hätte Furcht empfinden oder das Bedürfnis zu fliehen fühlen können. Es überlief ihn kalt und schien ihn gleichzeitig zu verbrennen, während es mit jedem Atemzug zwischen diesen beiden Extremen hin und her sprang und dabei stärker wurde.
Noch bevor er den Schatten fühlte, der über das Deck segelte, nahm er die Präsenz eines anderen Magus wahr.
Was jedoch nicht verhindern konnte, dass ihm der Unterkiefer herunterklappte, als sein Blick zum Himmel glitt und ihm ein Dutzend weit aufgerissene weiße Augen und zwei zusammengekniffene, rot glühende Schlitze folgten. Die Präsenz des Neuankömmlings schien das Anathema zu Sheraptus’ Macht zu sein, denn sie wühlte das Meer auf und veranlasste den Mond, hinter den Wolken hervorzulugen und alles in sein silbernes Licht zu tauchen.
Unter einem breitkrempigen Hut starrten zwei harte Augen von hoch oben auf das Deck herunter. Ein Mantel breitete sich in ledernen Schwingen hinter einem großen, schlanken Körper aus, flatterte, um besagten Leib anmutig über dem Gemetzel an Deck in der Luft zu halten. An seiner Hüfte hing mit einer silbernen Kette gesichert ein dicker Foliant, dessen Deckel mit einem Amtssiegel versehen war.
Einem Siegel des Venariums.
»Verdammich«, flüsterte Dreadaeleon. »Ein Bibliothekar.«
»Es ist ziemlich unhöflich, uneingeladen aufzutauchen und sich dann auch noch mit dieser aufdringlichen Präsenz anzukündigen, Sir«, zischte Sheraptus dem Mann zu.
»Komm gefälligst herunter und lass uns plaudern, ohne dass du in meinem Kopf herumsummst.«
Dass das nicht möglich war, war Draedaeleon klar. Die Macht, die der Bibliothekar ausstrahlte, war schwach aber permanent, wohlerprobt, so wie der entspannte Ausdruck der Autorität auf seiner Miene. Es war eine Macht, die weder von einer Krone noch von einem Stein stammte, sondern von jahrelanger Praxis und gnadenloser Disziplin.
»Bralston«, stellte sich der Mann beiläufig vor. »Bibliothekar unter Kuratel von Lektor Annis, Akadamie des Venarium von Cier’Djaal, unbegrenzte Rechtsprechung, absolute Vertragshoheit, ungestraft zum Einsatz tödlicher Macht berechtigt.« Sein Blick glitt kühl über die Szene unter ihm. »Ich bin gekommen, einen Schänder der Gesetze der Venarie zu suchen. Einen Häretiker.«
Sein Blick glitt von dem schwitzenden Jüngling in dem schmutzigen Mantel zu der purpurnen Kreatur, auf deren Fingerspitzen mühelos Elektrizität tanzte, und auf deren Stirn und in deren Augen Feuer glühte. Sheraptus zuckte beleidigt zurück.
»Was macht dich so sicher, dass ich es bin?«, wollte er wissen.
»Dem Schänder wird eine einzige Chance zur Absolution angeboten«, erwiderte Bralston und sank langsam auf das Deck. »Übergib deinen Körper der Forschung, dann werden dir deine Verbrechen verziehen.«
»Niemand«, schnarrte eine Niederling neben ihm, während sie Anstalten machte, sich zwischen Sheraptus und den Bibliothekar zu schieben, »spricht so zu dem Meister...«
»Angeboten und abgelehnt. Zur Kenntnis genommen.«
Mit einer flüssigen Bewegung nahm Bralston seinen Hut ab und stieß ein unverständliches Wort aus, bevor er ihn sanft auf das Langgesicht schleuderte. Aus dem stählernen Ring in der Krempe sprossen im selben Moment etliche glitzernde Dornen, die sich mit einem harten, schabenden Geräusch aneinanderrieben. Sie erwischten die Niederling im
Gesicht, und ihre Schreie wurden von dem Leder erstickt, als sich die Krempe um ihren Kopf wickelte und die Zähne laut zu kauen begannen.
»Ein fleischfressender Hut«, bemerkte Sheraptus, während die Frau taumelnd an dem Kleidungsstück riss.
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